Der Seniorensportler in der sportmedizinischen Sprechstunde

German E. Clénin

Abstract

Senior sportsmen and -women still participate in great numbers in sport events, particularly in endurance sports. Among the participants of the Jungfrau Marathon 2014 were 43% of the 3046 runners older than 50 years. These persons beeing active in sports have age related sportmedical problems. With four case reports the article tries to give concrete propositions to the sportsmed physician. Some of the graphics and tables are particularly appropriate for the counselling of active seniors in sports.

Zusammenfassung

Sportlich aktive Seniorinnen und Senioren nehmen zahlreich an Sportveranstaltungen, speziell Ausdauerwettkämpfen teil. Am Jungfraumarathon 2014 waren 43% der 3046 Teilnehmenden über 50-jährig. Diese sportlich aktiven Personen weisen altersspezifische sportmedizinische Probleme auf. Der Artikel versucht anhand von vier häufigen Fallbeispielen dem sportmedizinisch tätigen Arzt konkrete Ratschläge für die Sprechstunde mitzugeben. Einige der Grafiken und Tabellen eignen sich speziell für die Beratung des Seniorensportlers/der Seniorensportlerin.

Einführung

Erfreulicherweise sind in der Schweiz viele Seniorinnen und Senioren in Bewegung und sportlich aktiv. Speziell Ausdauersportveranstaltungen haben einen sehr hohen Anteil an über 50-Jährigen (Jungfraumarathon 2014 mit 43% der etwas über 3000 Teilnehmenden). Diese sportlich aktiven Personen weisen altersspezifische sportmedizinische Probleme auf. Der Artikel versucht mittels vier Fallbeispielen aus der sportmedizinischen Sprechstunde einige typische Fragestellungen von Seniorensportlern aufzuzeigen.

Fallvignette 1: Hüftschmerzen – Wie viel der Problematik ist artikulär?

Ein 67-jähriger langjähriger Laufsportler mit zahlreichen Medaillen von nationalen Laufsportanlässen stellt sich mit «Hüftschmerzen links mehr als rechts» in Ihrer Praxis vor. Die Beschwerden sind z.T. in der Leiste, vor allem aber auf der Hüftaussenseite, lumbal und gluteal lokalisiert, und verschlimmern sich vor allem am Abend und am Folgetag eines Lauftrainings. In der klinischen Untersuchung zeigt sich eine Hüftbeweglichkeit mit unauffälliger Flexion-Extension, unauffälligem Viererzeichen, leichter Limitierung der Innenrotation und leicht positivem Impingementtest Hüfte links.

Abbildung 1 a und b: Rx Becken Übersicht/Hüfte links axial
Abbildung 2 a, b, c: Triggerpunkt des m.quadratus lumborum, m.glutaeus medius und minimus, m.iliacus [1] (Quelle: Travell, Janet G.; Simons, David G; Handbuch der Muskeltriggpunkte, Untere Extremität und Becken, Urban & Fischer Verlag/Elsevier 2000)

Beurteilung und Therapie

  • Die Röntgenbilder zeigen mässige degenerative Veränderungen beider Hüftgelenke, links mehr als rechts (Abb. 1 a­ und b: Sklerose des Pfannendachs und kleiner Randosteophyt Hüfte links). Ein Teil der Beschwerden dürfte also artikulär bedingt sein. Der Einsatz eines Chondroprotektivums (z.B. Chondroitinsulfat 800–1000 mg) ist sinnvoll. Anamnese und klinische Befunde weisen aber stark auf eine nicht-artikuläre Genese der Beschwerden hin – siehe Tabelle 1.
  • In der klinischen Untersuchung zeigen sich klare Triggerpunkte im m.glutaeus medius, m.quadratus lumborum, m. iliacus und auch m.vastus lateralis (siehe Abb. 2 a, b, c[1]). Diese werden physiotherapeutisch angegangen und prompt bessert auch die Symptomatik.
  • Zusammenfassende Diagnose: Glutealgie und Leistenschmerz links primär myofaszial bei Triggerpunkten in m.glutaeus medius, m.quadratus lumborum, m.iliacus und m.vastus lateralis, leichte Coxarthrose links bei Seniorenlangstreckenläufer
  • Als Auslöser darf die einseitige sportliche Laufbelastung nicht vergessen werden. Dem Patienten wird deshalb empfohlen, seine sportlichen Aktivitäten zu diversifizieren und dabei speziell auf den «Impact auf die gewichtstragenden Gelenke» zu achten bzw. dies besser zu dosieren – Tabelle 2 gibt konkrete Vorschläge für die Beratung in der Praxis.
  • Ebenso sind eine spezifische Kräftigung des Rumpfes mit Instruktion der segmentalen Stabilisation und Dehnübungen der betroffenden Muskelgruppen zur Prävention einer erneuten Exacerbation wichtig.

Fallvignette 2: Der mässig motivierte, übergewichtige Wiedereinsteiger

Ein 52-jähriger selbstständig erwerbender Unternehmensberater mit abgeschlossenem Psychologiestudium und MBA, verheiratet, zwei schulpflichtige Kinder, stellt sich bei Ihnen in der Praxis vor, da er sportlich wieder einsteigen möchte. Der Lauf Grand-Prix von Bern (16 km) lockt ihn. Bis zu seinem 22. Lebensjahr absolvierte er ein leistungsorientiertes Schwimmtraining, seither ist er wenig körperlich aktiv. Fix besucht er einmal in der Woche eine Power-Yoga-Lektion und im Sommer fährt er öfters mit dem Elektrovelo zur Arbeit
(8 km). Sie finden die folgenden Parameter: Grösse 179 cm, Gewicht 96 kg, BMI 29.9, Blutdruck 162/97 rechter Oberarm, 158/95 linker Oberarm, Puls 78/min regelmässig. Übriger internmedizinischer Status unauffällig.

Vorgehen bei der Abklärung und Therapie

  • Obwohl früher trainiert, gehört dieser 52-jährige Patient aktuell zur inaktiven oder höchstens teilaktiven Bevölkerung. Er ist stark übergewichtig und Sie messen hypertensive Blutdruckwerte. Nun plant er die Aufnahme eines sportlichen Trainings (vigorous activity).
  • Sie klären die kardialen Risikofaktoren ab, messen die Nüchtern-Glucose, das Lipdiprofil und führen ein Ruhe- und Belastungs-EKG durch.
  • Die Blutdrucksituation erhärten Sie mit zusätzlichen Heimmessungen. Sie beobachten das Blutdruckverhalten im Belastungs-EKG [2] und ergänzen die Untersuchungen je nach erhaltenen Resultaten mit einer 24h-Blutdruckmessung.
  • Therapeutisch setzen Sie nun Bewegung und Sport ein – je nach Untersuchungsresultaten evtl. kombiniert mit einer medikamentösen Therapie und orientieren sich dabei am Prinzip des «Verschreibens von Bewegung und Sport» auf dem Rezeptblock oder einem separaten Formular analag Büla et al [3] (Abb 3) und den konkreten Vorschlägen zu Bewegung und Sport (Tab 2) [4].
Tabelle 1: Artikulär vs nicht-artikuläre Beschwerden am Beispiel der Hüfte

 

Abbildung 3: Pyramide der Bewegungsempfehlungen für Erwachsene (Quelle: Schweiz Med Forum 2014; 14(45): 836–841

Fallvignette 3: Neu entdeckte Arterielle Hypertonie trotz Ausdauersport

Anamnese und Befunde:

Ein normalgewichtiger 43-jähriger aktiver Radsportler mit ­
12 Trainingsstunden pro Woche, Nichtraucher, sucht Sie auf für einen medizinischen Check. Sie finden die folgenden Parameter: Grösse 184 cm, Gewicht 78 kg, BMI 23, Blutdruck 158/105 rechter Oberarm, 155/102 linker Oberarm, Puls 55/min regelmässig. Übriger internmedizinischer Status unauffällig. Familienanamnese positiv für Arterielle Hypertonie. Die Blutdruckheimmessungen zeigen folgendes Bild: ­ 60 Messungen über drei Wochen (ca. drei Messungen pro Tag): Systolisch 22 Werte über 140 bzw. 34 Werte über  135 mmHg (56.7% über dem Grenzwert), diastolisch 36 Werte über 90 bzw. 41 Werte über 85 mmHg (68% über dem Grenz­wert). Der Prozentsatz sowohl der systolischen als auch der diastolischen Blutdruckwerte über dem Grenzwert ist klar erhöht und spricht für eine arterielle Hypertonie. Abbildung 4 zeigt die 24h-Blutdruckmessung des Patienten mit dem gut ersichtlichen und physiologischen nächtlichen Blutdruckdipping. Ebenso lässt sich erkennen, dass sowohl systolisch besonders aber diastolisch zu viele Blutdruckwerte über dem erlaubten Grenzwert sind.

Abbildung 4: 24h-Blutdruckmessung

 

Tabelle 2: Konkrete Empfehlungen für Bewegung und Sport unter Berücksichtigung des Impacts auf die Gelenke/(Aktivitäten, welche zusätzlich zur Rumpfkräftigung geeignet sind gekennzeichnet mit * bzw **)

Beurteilung und Therapie

  • Bei diesem 43-jährigen Radsportler liegt eine neu entdeckte arterielle Hypertonie vor. Angesichts des 24h- Blutdrucks mit gutem nächtlichen Dipping ist eine sekundäre arterielle Hypertonie unwahrscheinlich. Die positive FA ist für einen Ausdauersportler typisch.
  • Gemäss meiner Erfahrung tun sich sportlich aktive Menschen schwer mit der Akzeptanz einer Arteriellen Hypertonie, welche behandlungsbedürftig wird.
  • Die 24h-Blutdruckmessung speziell aber auch die durch den Patienten durchgeführten Heimmessungen zeigen die Problematik für Sie als Arzt, speziell aber auch für den Patienten auf und erhöhen die Akzeptanz für die notwendigen therapeutischen Massnahmen.
  • Die Liste der Lifestyle-Interventionen soll sicherlich mit dem Patienten besprochen werden [5] (siehe Tab. 3). Allerdings macht der sportliche Patient typischerweise bereits vieles richtig. Man kann und soll ihn dabei bekräftigen. Dies kann eine weitere Vertrauensbasis schaffen, um die medikamentöse Therapie zu akzeptieren.
  • Geeignete Medikamente zur Behandlung können sein: ein ACE-Hemmer z.B. Enalapril oder Perindopril, ein AT-2- Blocker z.B. Candesartan oder ein Calciumantagonist z.B. Amlodipin [6].
  • Ein Betablocker ist in der vorliegenden Situation nicht geeignet. Zum einen sind Betablocker keine first line- Medikamente zur Behandlung der Arteriellen Hypertonie. Des Weiteren kann der Betablocker je nach Dosierung und individueller Verträglichkeit eine hier unerwünschte Limitierung der Leistungsfähikeit im submaximalen Bereich bewirken. Zudem sind Betablocker in gewissen Sportarten sowohl in Training und Wettkampf gemäss Antidoping-Richtlinien NICHT gestattet [7].
  • CAVE: Vor Einsatz eines Diuretikums ist bei einem Athleten, welcher noch aktiv im Wettkampfsport ist, zu warnen, da diese gemäss den Antidopingvorschriften NICHT gestattet sind [8].
Tabelle 3: Lifestyle-Modifikationen gegen Arterielle Hypertonie – Empfehlungen der Schweizer Herzstiftung, http://www.swissheart.ch [5]

Fallvignette 4: Einfach eine Peritendinitis der Achillessehne?

Eine 61-jährige Betriebswirtschafterin und Bankmitarbeiterin, seit Jahrzehnten begeisterte Laufsportlerin mit 6–8 Stunden Lauftraining pro Woche, stellt sich wegen einer Schwellung im tendinösen Anteil der Achillessehne links vor. Sie haben die Patientin vor einem Jahr gesehen wegen einer Peritendinitis der Achillessehne rechts. Sie hatten mit ausgebauten Massnahmen lokal antiphlogistisch, Stosswellenbehandlung, detonisierenden Massnahmen und exzentrischen Kräftigungs- und Dehnübungen in der Physiotherapie über mehrere Wochen, Pause des Lauftrainings für 6 Wochen und Wiederaufbau erfolgreich die rechte Seite behandelt. Wie gehen Sie auf der linken Seite vor?

Beurteilung und Therapie

  • Die etwas auffällige Anamnese (anders als vor einem Jahr! kein wirklicher Grund ersichtlich!), der etwas andere klinische Befundes (etwas stärkere Schwellung, vielleicht etwas stärkere lokale Druckdolenz, andere Qualität der Palpation) lassen vermuten, dass mehr dahintersteckt. Zuerst Diagnostik, bevor die meist mehrere Wochen, gelegentlich Monate dauernde Therapie der Peritendinitis eingeleitet wird.
  • Merkpunkt in diesem vorliegenden Fall: eine frühe Bildgebung, gerade beim Seniorensportler/der Seniorensportlerin, hilft, die höhergradige, degenerative Partialruptur zu erkennen (siehe Abb. 5a und b). Die Sonographie gibt bereits eine gute erste Einschätzung. Das MRI erlaubt eine umfassendere Diagnostik und Beurteilung.
  • Die Patientin wurde operiert (Achillessehnendébridement, -rekonstruktion mit Plantaris longus-Verstärkung). Sie hat sich sehr gut erholt und hat in der Zwischenzeit bereits wieder erfolgreich Volksläufe bestritten.
Abbildung 5 a und b: Sonographie der Achillessehne längs und quer: Im tendinösen Anteil der Achillessehne, 8.3 cm ab Planta pedis zeigt sich eine quer verlaufende 1×0.75 cm grosse, z.T. echoreiche Strukturveränderung mit zentral echofreier 0.55×0.35cm grosser Zone, einer höhergradigen Partialruptur entsprechend

Conclusions

Seniorinnen und Senioren sind erfreulicherweise in hoher Anzahl körperlich aktiv: bei der Gruppe der 50–64-jährigen gelten gemäss der Schweizer Gesundheitsbefragung von 2012 sowohl bei Männern und Frauen 25% als trainiert (d.h. 3×/Woche eine Schweiss treibende Aktivität von 20–60 min ausübend) und weitere 45% als aktiv (d.h. an mindestens 5 Tagen in der Woche 30 min leicht ins Atmen kommend). Diese Personen melden sich entsprechend auch des Öfteren in der sportmedizinischen Sprechstunde. Im Gegensatz zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden sich bei Seniorensportlerinnen und -sportlern leider auch (erste) degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates. Aufgrund der erhöhten körperlichen Belastung und des doch bereits fortgeschrittenen Alters soll speziell bei auffälliger Anamnese und Klinik mit einer ergänzenden Bildgebung nicht lange zugewartet werden. Neben degenerativen Problematiken sind sportartspezifische myofasziale Symptomatiken häufig. Diese Beschwerdebilder können klinisch diagnostiziert werden, sind meist gekennzeichnet durch Triggerpunkte und muskuläre Dysbalancen und können grundsätzlich in enger Zusammenarbeit mit der Physiotherapie gut behandelt werden. Für das weitere Sporttreiben empfiehlt sich gerade bei der ambitionierten Seniorin/dem ambitionierten Senior öfters eine gewisse Diversifizierung und Anpassung der sportlichen Aktivitäten [4].
Bezüglich kardiovaskulären Risikofaktoren muss der Sportmediziner, trotz des regelmässigen Trainings der Patienten, genauer hinschauen und aus präventiven Gründen eine gelegentliche Standortbestimmung mit Blutdruck, BMI, Lipidprofil, Nüchtern Glucose und HbA1c und evtl. EKG vornehmen. Beim Wiedereinsteiger oder Sport-Neueinsteiger gehört beim Start einer Schweiss treibenden sportlichen Aktivität (vigorous activity) bei Männern ab 45 und Frauen ab 55 Lebensjahren nach wie vor ein Belastungs-EKG dazu [2]. Sowohl zur Lifestyle Beratung bei arterieller Hypertonie [5] als auch zur Beratung bezüglich Bewegung und Sport stehen gute Unterlagen zur Verfügung [3, 4].

Korrespondenzadresse

German E. Clénin
Sportmedizinisches Zentrum Bern-Ittigen
Haus des Sports
3063 Ittigen
german.clenin@smzbi.ch

Literaturverzeichnis

  1. Handbuch der Muskeltriggerpunkte, Untere Extremität und Becken Travell, Janet G.; Simons, David G.; Urban & Fischer Verlag/Elsevier 2000
  2. Plötzlicher Herztod beim Sport: sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsmassnahmen Schweizerische Zeitschrift für «Sportmedizin und Sporttraumatologie» 46 (2), 83–85, 1998.
  3. Bewegung im Alter: Dafür ist es nie zu spät! Schweiz Med Forum 2014; 14(45): 836–841.
  4. Promoting physical activity: a guide for community action. Champaign, IL: Human Kinetics, 1999.
  5. Arterielle Hypertonie: Wie kann ich vorbeugen? http://www.blutdruck-offensive.ch, Schweizerische Herzstiftung download 23.11.2014.
  6. The Clinical Management of Primary Hypertension in Adults Update of Clinical Guidelines 18 and 34, NICE Clinical Guidelines, No. 127, National Clinical Guideline Centre (UK). London: Royal College of Physicians (UK); 2011 Aug.
  7. http://list.wada-ama.org/list/s5-diuretics-and-other-masking-agents/Antidoping /download 23.11.2014.
  8. http://list.wada-ama.org/list/p2-beta-blockers/ download 23.11.2014.

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