Original article

Sport mit angeborenem Herzfehler –
Wo stehen wir 2017?

Siaplaouras J1, Albrecht C2, Apitz C1
1 Sektion Pädiatrische Kardiologie, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Ulm
2 Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institute for Sport and Sport Science (IfSS)

Abstract

Introduction: Adequate physical activity is important for a healthy and age-appropriate development in children and adolescents with congenital heart disease (CHD). To enable each child with CHD individual and harmless physical ­activity an exam by a pediatric cardiologist/sports medicine physician, specific recommendations based on residual findings and structures of care are needed.
Methods: A selective review of the literature in PubMed was performed to retrieve current guidelines and review ­articles. Further, data from the MoMo-study as part of the population-based German KiGGS-study were analysed regarding the habitual physical activity in children with CHD compared to the healthy counterpart.
Results: There are three options to perform sports as child with CHD: 1. Sports with healthy peers: Model “Sports at school and in clubs”; 2. Sports within a group of children with CHD: Model “Sports Heart Group”, 3. Model “Individual sports”. Preliminary results from MoMo show that children and adolescents with CHD do not differ from the health counterparts in sports participation in clubs nor in daily ­habitual physical activity behavior.
Conclusions: Results of the subgroup analysis of the ­MoMo-study are encouraging as children with heart disease, even though often physical handicapped, are as motivated to participate in sports and regular physical activity, preferably with healthy people. Pediatric cardiologists/sports medicine physicians should provide the necessary support to youth with CHD to enable them to be as active as possible without harm.

Keywords:
pediatric cardiology, congenital heart defect, exercise, sports

Zusammenfassung

Einführung: Altersentsprechende sportliche Aktivität ist für Kinder und Jugendliche mit angeborenem Herzfehler (AHF) eine bedeutende Grundlage für eine gesunde körperliche und psychische Entwicklung. Um jedem Kind mit AHF ein individuelles und gefahrloses Mass an sportlicher Aktivität zu ermöglichen, benötigt man eine kinderkardiologisch/sportmedizinische Untersuchung, spezifische ­Sport-Empfehlungen unter Berücksichtigung der Residualbefunde und eine entsprechende Betreuungsstruktur.
Methode: Dieser Beitrag enthält einen Überblick über aktuelle Empfehlungen zu Sport bei Kindern und Jugendlichen mit AHF und die entsprechend vorhandenen Betreuungsstrukturen. Um einen Überblick über den wirklichen Ist-­Zustand zu erhalten, werden deskriptive Ergebnisse aus dem MoMo-Modul der KiGGS-Studie zur körperlich-sportlichen Aktivität bei Kindern und Jugendlichen mit ­Herzerkrankungen im Vergleich zu Gesunden dargestellt.
Resultate: Grundsätzlich bestehen drei modellhafte Möglichkeiten zur Ausübung von Sport bei Kindern und Jugendlichen mit AHF: 1. Sport mit «Gesunden»: Modell Schul- oder Vereinssport, 2. Sport in einer Gruppe von «Kranken»: Modell «Herzsportgruppe», 3. Sport alleine: Modell «Einzelsport». Die vorläufigen deskriptiven Ergebnisse der Subgruppenanalyse aus der MoMo-Studie zeigen, dass Kinder und Jugendliche mit Herzerkrankung erfreulicherweise einen ähnlich hohen Anteil an Vereinssportaktivität zeigen wie Gesunde und sich auch in ähnlichem Masse regelmässig aktiv sportlich bewegen.
Schlussfolgerung: Die Subgruppenanalyse der MoMo-­Studie zur Aktivität von Kindern mit Herzerkrankung zeigt vielversprechende Ergebnisse: 1. Kinder mit Herzerkrankung sind trotz ihrer körperlichen Einschränkungen motiviert und regelmässig körperlich aktiv. 2. Es besteht ein hoher Anteil an Sport mit «Gesunden». Es ist daher die Aufgabe der Kinder­kardiologen, in Zusammenarbeit mit Sportmedizinern die erforderlichen Betreuungsstrukturen zu schaffen, damit Kinder und Jugendliche mit AHF gefahrlos innerhalb ihrer «Peer-Group» sportlich aktiv sein können.

Schlüsselwörter:
Kinderkardiologie, Angeborener ­Herzfehler, Training, Sport

1. Einleitung

Zur Festlegung der Rechte von Menschen mit Behinderungen wurde die Behindertenrechtskonvention (BRK) am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Die Konvention wurde u. a. von der EU (23.12.2010), Österreich (26.09.2008), der Schweiz (15.04.2014) und Deutschland (24.02.2009) ratifiziert. Nach Artikel 30 Absatz 5 besteht eine Verpflichtung, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme an Sportaktivitäten gleichberechtigt mit Gesunden zu ermöglichen.
Die pädiatrische Sportmedizin ist eine junge Disziplin und hat die umfassende Betreuung sporttreibender gesunder und chronisch kranker Heranwachsender zur Aufgabe. Ange­borene Herzfehler sind beim Menschen mit einer Prävalenz von 1,1 % die häufigste angeborene Fehlbildung [1]. Kinder und Jugendliche mit AHF können in der über­wiegenden Mehrzahl an sportlicher Aktivität partizipieren. Durch ein strukturiertes körperliches Training kann eine Verbesserung der prognoserelevanten maximalen Sauerstoffaufnahme und motorischer Defizite erreicht werden. Körperlich-sportliche Aktivität ist darüber hinaus ein wichtiger Baustein für eine altersentsprechende körperliche, geistig-intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung [2,3,4,5,6].
Eine körperlich aktive Lebensführung ab dem Kindes­alter hat prägenden Charakter und beugt primärpräventiv erwor­benen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor. Im Kindes­alter erlernte Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen werden meist bis ins Erwachsenenalter beibehalten. Dies ist deshalb von Bedeutung, da vermutet wird, dass Myokardinfarkte die häufigste Todesursache auch bei Patienten mit einfachen AHF werden könnten [7,8,9,10,11]. Entgegen den bislang bestehenden Sicherheitsbedenken ist ein plötzlicher Herztod von Pa­tienten mit bekanntem AHF während sportlicher Aktivität extrem selten [12,13]. Trotzdem gilt es, Kinder und Jugendliche mit AHF hinsichtlich Sporttauglichkeit individuell zu beraten, damit Bewegung und Sport sich gesundheitlich gewinnbringend auswirken können, ohne die Patienten zu gefährden.
Der Zugang zu sportlicher Aktivität ist für Kinder und Jugendliche mit AHF jedoch häufig erschwert. Dies kann zu einer zusätzlich zur Grunderkrankung reduzierten körperlichen Leistungsfähigkeit und verminderten Lebensqualität führen [14,15,16]. Ziel dieses Artikels ist deshalb, 1. bestehende Richtlinien über die Sportausübung von Kindern und Jugendlichen mit AHF zu recherchieren, 2. eine Übersicht über die bestehenden Richtlinien zu geben und anhand der KIGGs-Studie zu eruieren, wie körperlich aktiv Kinder und Jugendliche mit AHF im Alltag tatsächlich sind.

2. Methode

Selektive Literaturrecherche in PubMed unter Bezugnahme auf Leitlinien und systematische Übersichtsarbeiten. Diese werden tabellarisch zusammengefasst mit speziellem Fokus auf bestehende Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Anhand von Fragebogendaten der MoMo-Studie wird der aktuelle Zustand zur körperlich-sportlichen Aktivität und Sporttätigkeit von Kindern und Jugendlichen mit Herzerkrankungen präsentiert. Abschliessend werden aufgrund bestehender Empfehlungen und der aktuellen Situation Vorschläge zur Optimierung der Betreuungsstruktur generiert.

Tabelle 1: Voraussetzungen uneingeschränkter Sporttauglichkeit einfacher kardialer Vitien bei Kindern und Jugendlichen.

3. Ergebnisse

3.1 Empfehlungen zur körperlich-sportlichen Aktivität
Für Kinder und Jugendliche mit einem AHF liegen Empfehlungen, Übersichtsarbeiten und Leitlinien deutscher [18,19,20], europäischer [21,22,23,24,25] und amerikanischer Autoren und Fachgesellschaften [26,27,28] zu körperlicher Aktivität vor. Körperlich-sportliche Aktivität führt zu einer Belastung des Herz-Kreislauf-Systems und bedingt ein interdisziplinär abzuschätzendes Risiko. Der kardiovaskuläre Defekt ist u. a. mittels des Residualbefundes, der Ventrikelfunktion, des systemischen und pulmonalen Gefässwiderstands/Blutdrucks ­sowie anhand von Herzrhythmusstörungen zu beurteilen.
Bei einfachen Herzfehlern wie hämodynamisch unbedeutenden septalen Defekten, bei Zustand nach Verschluss von Shuntdefekten auf Vorhof-, Kammer- oder arterieller Ebene ohne Residuen und bei geringgradigen Klappenstenosen oder Insuffizienzen besteht im Regelfall eine unbeschränkte Sporttauglichkeit (Tabelle 1). Einschränkungen gibt es vor allem bei Patienten mit komplexen Herzfehlern, Kardiomyopathien, kardialen Ionenkanalerkrankungen und implantierten Herzschrittmachern oder ICDs sowie bei der Einnahme von blutgerinnungshemmenden Substanzen (z. B. ­Marcumar). Gemeinsam ist allen aktuellen Empfehlungen ein Verschieben des Fokus vom ursprünglichen Herzfehler zum hämo­dynamischen und elektrophysiologischen Residualbefund als Grundlage der Beurteilung. Diese Patienten gehören in die Hände von kinderkardiologischen Spezialisten und müssen dort eine individuelle Empfehlung zur Sportausübung bekommen. Im Rahmen der Betreuung gilt es, mögliche und ideale Sportarten sowie die Trainingsumfänge und -intensitäten genau zu definieren. Nur anhand der Kenntnis um relevante hämodynamische und elektrophysiologische Befunde kann die maximale Belastungsintensität, die sich nicht gesundheitsgefährdend auswirkt, festgelegt werden. Die genaue Einhaltung der Trainingsempfehlungen sollte vor allem bei übermotivierten Jugendlichen überwacht werden.

3.2 Möglichkeiten der Partizipation
Organisatorische Rahmenbedingungen müssen Kindern und Jugendlichen mit einem AHF den Zugang zu einer sicheren Ausübung von Sport ermöglichen (Abbildung 1). Grundsätzlich bestehen hierzu drei modellhafte Möglichkeiten (Abbildung 2).
1. Sport mit «Gesunden»: Modell Schul- oder Vereinssport
2. Sport in einer Gruppe von «Kranken»: Modell Kinderherzsport
3. Sport alleine: Modell «Einzelsport»

Abbildung 1: 7i-Modell der pädiatrisch-kardiologischen Sportmedizin nach Raschka und Nitsche (Hrsg.), Praktische Sportmedizin, Thieme-Verlag.

Sport mit «Gesunden»

Sport und Spiel im Kindergarten oder im Verein mit gesunden Altersgenossen sollte aus Integrationsgründen den Regel­fall für jedes Kind mit einem AHF darstellen. Im Schulalltag kann es häufig aus Sicherheitserwägungen oder – seitens der Betroffenen selbst – aus Angst vor einer schlechten Sportnote zu einem Verzicht auf eine Teilnahme am Schulsport kommen. Es liegen keine belastbaren Forschungsergebnisse zu ärztlich empfohlenen Einschränkungen sportlicher Aktivität und der tatsächlichen Teilnahme an Schul- und Vereinssport vor.

Abbildung 2: Möglichkeiten der Ausübung von Sport mit AHF nach Raschka und Nitsche (Hrsg.), Praktische Sportmedizin, Thieme-Verlag.

Sport mit «Kranken»

Kinder und Jugendliche mit einem AHF sind aufgrund von Unterschieden in Alter, Interessen, Ausprägung der Erkrankung und körperlicher Belastbarkeit nur eingeschränkt kohortierbar. In sogenannten Kinderherzsportgruppen kann sicher und spielerisch trainiert werden. Durch den gemeinsamen Sport werden motorische Fähigkeiten, vor allem Koordination, aber auch Kraft und Ausdauer, Selbstvertrauen und Teamgeist gefördert. In der Bundesrepublik Deutschland existieren derzeit allerdings nur 11 aktive regionale Kinderherzsportgruppen (Stand Januar 2017) im Vergleich zu etwa 6000 Herzsportgruppen erwachsener Patienten. Dies zeigt die Limitierung dieses Konzepts.

Einzelsport

Persönliche Lebensumstände, die eine regelmässige Ausübung von Sport in der Gruppe verhindern, oder die primäre Wahl einer Einzelsportart bedingen ein nicht kohortierbares Kollektiv. Die hierfür in Frage kommenden, häufig an komplexen Fehlbildungen leidenden jugendlichen Patienten ­können nur individuell angeleitet ein körperlich aktives Leben führen. Die medizinische Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit komplexem AHF erfolgt jedoch immer interdisziplinär und kombiniert lokal vor Ort und zentral in Spezialambulanzen. Die Koordination aller beteiligten Disziplinen gestaltet sich in diesen Fällen aufwendig. Grosses Potenzial bietet für diese Zielgruppe der Einsatz digitaler Medien. Personalisierte Online-Trainingsportale schaffen die Möglichkeit, sich medizinisch betreut im häuslichen Umfeld sportlich-aktiv zu betätigen [17].

3.3 Kinderkardiologisch-/sportmedizinische ­Untersuchung herzkranker Kinder und Jugendlicher
Die Inhalte der Sporttauglichkeitsuntersuchung gesunder Kinder und Jugendlicher werden weiterhin kontrovers dis­kutiert. Allen Empfehlungen gemeinsam ist die systematische ausführliche Eigen- und Familienanamnese sowie eine internistisch-orthopädische körperliche Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der ausgeübten Sportart. Auch wenn Dissens über den Einsatz des Ruhe-EKGs als Screeninguntersuchung bei gesunden Jugendlichen besteht, brauchen herzkranke Kinder und Jugendliche regelhaft eine weiter­gehende sportmedizinische Untersuchung und Trainingsempfehlung. Echokardiografie, Langzeit-EKG, Langzeit-Blutdruck-Messung und eine Belastungsuntersuchung können je nach Herzfehler auch bei unauffälliger Anamnese obligat sein. Die Durchführung ist aufgrund apparativer und medizinischer Anforderungen vor allem bei jüngeren Kindern und entsprechender Fragestellung nur in kinderkardiologischen Spezialambulanzen möglich.

3.4 Der «Ist-Zustand»: Daten aus der ­MoMo-Studie – Deskriptive Ergebnisse zur körperlichen Aktivität und Vereinsmitgliedschaft von Kindern und Jugendlichen mit Herzerkrankungen
Die Motorik-Modul-Studie (MoMo-Studie) ist eine repräsentative Langzeitstudie und ein Teilmodul der KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts, in der die körperlich-sportliche Aktivität, die motorische Leistungsfähigkeit und anthropometrische Parameter von repräsentativ ausgewählten Kindern und Jugendlichen in Deutschland erhoben wurden [30]. Im Rahmen der KiGGS-Baseline-Studie 2003–2006 wurden ­Daten im Kindes- und Jugendalter über ein strukturiertes, computergestütztes ärztliches Interview (Computer-Assisted Personal Interview; CAPI) erhoben [30]. Eine Herzerkrankung (ohne spezifische Angabe zur Art der Herzerkrankung) wurde von 2,8 % aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland in der KiGGS-Basiserhebung (2003–2006, Alter 4- bis 17-jährige männliche und weibliche Probanden) angegeben [30]. Die Daten der Motorik-Modul-Studie zur körperlich-sportlichen Aktivität lassen sich mit den Gesundheitsdaten der KiGGS-Studie verknüpfen. Durch diese ­Ver­knüpfung und die Analyse der entsprechenden Subgruppen können erste beschreibende Hinweise zur körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und ­Jugendlichen mit einer Herzerkrankung gewonnen werden.
In der Motorik-Modul-Baseline-Studie (2003–2006) ­wurden 4528 Kinder und Jugendliche befragt und auf ihre motorische Leistungsfähigkeit getestet [31]. Die Fragen zur körperlich-sportlichen Aktivität wurden mit dem validierten MoMo-Aktivitätsfragebogen erfasst [32]. Von 113 MoMo-­Studienteilnehmern liegen kombinierbare Datensätze zu Herzerkrankung und zur Vereinsaktivität vor. Bei 103 MoMo-­Studienteilnehmern mit Herzerkrankung liegen Angaben zur täglichen körperlich-sportlichen Aktivität vor.
In der MoMo-Baseline-Studie geben 57,7 % der 4- bis 17-Jährigen an, Mitglied in einem Sportverein zu sein [30]. Mit 63 % sind insgesamt mehr Jungen als Mädchen (52 %) Mitglied im Sportverein (Chi2 = 56,8; df = 1; p = 0,000). Im Kollektiv der Kinder und Jugendlichen mit einer Herzerkrankung geben insgesamt 50,4 % an, Mitglied in einem Sport­verein zu sein; dies liegt somit um ca. 7 % unter der MoMo-Baseline-Stichprobe. Auffällig ist, dass der geringere Anteil an Vereinsmitgliedern besonders bei den Mädchen deutlich wird (– 9,6 %) (Abbildung 3).
In Anlehnung an die Empfehlungen der WHO [33] wurde in der MoMo-Baseline-Untersuchung die Forderung nach 60 Minuten körperlicher Aktivität mit mindestens moderater Intensität an sieben Tagen in der Woche als Richtgrösse ­untersucht , 2. Für beide Items war die Antwortmöglichkeit zwischen 0 und 7 Tage. Dabei wurden die Scores durch die Bildung des Mittelwertes von den beiden Items errechnet (Bös et al, 2009). Auf diese Weise lässt sich die Frage beantworten, wie viele der Kinder und Jugendlichen die geforderten Bewegungsempfehlungen erreichen.
Bei einer Betrachtung über die MoMo-Gesamtstichprobe (Baseline, 2003–2006) kommen 15,3 % der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen 4 und 17 Jahren der Forderung nach, an 7 Tagen pro Woche für mindestens 60 Minuten mit mindestens moderater Intensität aktiv zu sein. Bei den Mädchen erfüllen 13,1 % und bei den Jungen 17,4 % die Aktivitätsempfehlungen (Geschlechtereffekt: Chi2 = 14,0; df = 1; p = 0,000). In der Substichprobe der Kinder und Jugendlichen mit einer Herzerkrankung ist der Anteil der die Bewegungsempfehlungen Erfüllenden mit 17,3 % um 2 % höher als in der MoMo-Baseline-Stichprobe. Eine geschlechtsspezifische Betrachtung zeigt, dass vor allem der Anteil der Studienteil­nehmerinnen, welche die Guideline erfüllen, im Kollektiv der Herzkranken deutlich höher ist, bei den männlichen herzkranken Studienteilnehmern dafür geringer als in der MoMo-­Baseline-Stichprobe (Abbildung 4). Betrachtet man den Anteil der Kinder, die nur an ein oder zwei Tagen für 60 Minuten körperlich-sportlich aktiv sind, so zeigt sich hier ein prozentual höherer Anteil der herzkranken Kinder. Der Anteil an Kindern und Jugendlichen, die angeben, an keinem Tag 60 Minuten körperlich-sportlich aktiv zu sein, ist hingegen wieder bei den nicht herzkranken Kindern höher. Aufgrund der sehr geringen Fallzahlen herzkranker (n = 113–103) Kinder und Jugendlicher in der MoMo-Baseline-Stichprobe sind weitere Subgruppenanalysen nicht möglich.

Abbildung 3: Vereinsmitgliedschaft im Vergleich «Kollektiv Herzkranke» 4 –17 Jahre (N = 113) und MoMo Baseline
4 –17 Jahre (N = 4528).
Abbildung 4: Guideline Frage zur Aktivität von 60 Minuten am Tag: Vergleich «Kollektiv Herzkranke» 4 –17 Jahre (N = 103) und MoMo Baseline 4 –17 Jahre (N = 4528).

4. Diskussion

Die Subgruppenanalyse der MoMo-Studie zur Aktivität von Kindern mit Herzerkrankung zeigt vielversprechende Er­gebnisse: 1. Kinder mit Herzerkrankung sind trotz ihrer körperlichen Einschränkungen motiviert und regelmässig körperlich aktiv. 2. Es besteht ein hoher Anteil an Sport mit «Gesunden». Es ist daher die Aufgabe der Kinderkardio­logen, in Zusammenarbeit mit Sportmedizinern die erforderlichen Betreuungsstrukturen zu schaffen, damit Kinder und Jugendliche mit AHF gefahrlos innerhalb ihrer «Peer-Group» sportlich aktiv sein können. Insbesondere aber für Patienten mit komplexen AHF mit der Gefahr von lebensbedrohlichen belastungsabhängigen Herzrhythmusstörungen sind individuelle Lösungsstrukturen erforderlich, geführt durch den betreuenden Kinderkardiologen mit Beratung durch die Sportmedizin.
Daher besteht perspektivisch Optimierungsbedarf unter anderem in nachfolgenden vier Bereichen:

  1. Analyse des Ist-Zustandes von Aktivität herzkranker ­Kinder und Jugendlicher: Um die Betreuungsstruktur zu optimieren, ist eine genaue Analyse des Ist-Zustandes erforderlich. Die hier präsentierten Subgruppenanalysen der MoMo-Studie sind erste repräsentative Daten über die tatsächliche körperliche Aktivität herzkranker Kinder und Jugendlicher im Alltag, in der Schule und privat. Diese Stichprobe ist aber durch die begrenzte Kenntnis von Art und Schwere der Herzerkrankung der eingeschlossenen Probanden limitiert. Daher wäre es wünschenswert, ein prospektives Studiendesign zu entwerfen mit der Möglichkeit zur geplanten Analyse des Zusammenhangs zwischen Art und Schwere der Herzerkrankung und der körperlichen Aktivität. Auch wäre es wichtig, Daten über die entsprechende Ist-Situation der sportmedizinisch-­kinderkardiologischen Betreuungsstruktur zu erhalten.
  2. Spezialisierung betreuender Berufsgruppen: Um die Betreuungsstruktur zu optimieren, müssen alle beteiligten Disziplinen ausreichend geschult sein. Im Vordergrund steht natürlich der betreuende Kinderkardiologe. Aber auch andere Disziplinen, wie Sportmediziner, Physiotherapeut oder Sporttrainer, sollten Detailwissen über die ­zugrunde liegende Herzerkrankung und die Einwirkungen einer physischen Belastung auf die Hämodynamik haben. Die sportmedizinische Weiterbildung für Kinderkardiologen ist ­sicher eine sehr sinnvolle Ergänzung, um den Anforderungen zur Betreuung dieser komplexen Patienten bei sportlicher Aktivität gerecht zu werden. Die Gesellschaft für Pädiatrische Sportmedizin (GPS, http://www.kindersportmedizin.org) hat aus diesem Grund eine Arbeitsgemeinschaft Herzkreislauferkrankungen gegründet und will diesen Prozess aktiv begleiten. Ein fachspezifischer Austausch wird es möglich machen, voneinander zu lernen und Aufgaben effizient zu verteilen, um die vorerkrankten Kinder und Jugendlichen schlagkräftig zu vertreten und um gesundheitspolitisch sichtbar zu sein.
  3. Inhalte des Bewegungsprogramms: Um ein Trainings­programm möglichst effektiv zu gestalten, sollte es individuell zusammengestellt sein. Langzeituntersuchungen haben auch bei Patienten mit AHF gezeigt, dass sportliche Aktivität positive Auswirkungen auf Prognose und ­Lebensqualität der einzelnen Patienten hat. Bislang existiert allerdings noch kein allgemeiner Konsens über die richtige Verwendung und Dosierung des «Medikaments Sport» bei AHF. Dies gilt vor allem für Kinder und Jugendliche mit komplexen Herzvitien. Generell ungeklärt ist, welche Trainingsformen, -intensitäten und Kombinationen aus Ausdauer- und/oder Krafttraining, hochintensivem Intervalltraining oder mässig intensivem Ausdauertraining bei AHF zu besseren subjektiven und objektiven Langfrist­ergebnissen führen.
  4. Kontinuierliche sportmedizinische Trainingsbegleitung: Es besteht fast global ein personeller Mangel an ­Fachleuten in den Disziplinen, die sporttreibende Kinder und Jugendliche mit AHF betreuen. Aktuell sind sportmedizinische Betreuungsmöglichkeiten häufig lokal gebunden und zeitlich ­limitiert. Vor allem bei jungen Erwachsenen mit AHF, die ausbildungs- oder berufsbedingt höheren Mobilitätsanforderungen ausgesetzt sind, ist eine kontinuierliche sportmedizinische Betreuung auf konventionellem Weg erschwert.
    Die Etablierung moderner E-Health-Lösungen scheint ­daher ein vielversprechender Weg zu sein, um die Koordination und Kommunikation zwischen Patient, lokaler Betreuung (Arzt, Physiotherapeut, Sportlehrer) und übergeordnetem Zentrum (Kinderkardiologie mit spezieller Expertise, Sportwissenschaftler, evtl. Sportpsychologe) organisatorisch zu ermöglichen.

5. Das Wichtigste für die Praxis

  1. Sportliche Aktivität verbessert die körperliche Leistungs­fähigkeit, die Lebensqualität und das Langzeitüberleben von gesunden Kindern wie auch von denjenigen mit einem AHF.
  2. Ein plötzlicher Herztod während sportlicher Aktivität ist auch bei Kindern und Jugendlichen mit AHF bei entsprechender kinderkardiologischer Betreuung sehr selten.
  3. Das Wissen über die Teilhabe von Kindern und Jugend­lichen mit AHF an Schul- und Vereinssport sowie über die körperlich-sportliche Aktivität ist limitiert und muss in Studien genauer erfasst werden.
  4. Eine strukturierte sportmedizinische Weiterbildung der Kinder- und Jugendärzte und eine Verbesserung der Koordination betreuender Fachdisziplinen u. a. durch E-­Health-Lösungen kann eine flächendeckende, individuelle, alters- und erkrankungsspezifische Betreuung sport­treibender Kinder und Jugendlicher mit AHF ermöglichen.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Jannos Siaplaouras
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Sektion Pädiatrische Kardiologie
Eythstrasse 24
D-89075 Ulm

Praxis am Herz-Jesu-Krankenhaus GmbH
Gerloser Weg 23
D-36039 Fulda
Tel. 0661 70025
praxis@kinderkardiologie-fulda.de

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