Stellenwert der Leistungsdiagnostik am Beispiel der Sportart Orientierungslauf

Roos E, Züst P
Sportmedizin Kerenzerberg, Praxis im Sonnenzentrum, Mollis, sportmedizin-kerenzerberg@hin.ch

Abstract

Endurance testing has a long tradition in the Swiss Orienteering Federation. It has become an important tool in monitoring effectiveness of training and in assessing endurance performance. The vast majority of athletes and coaches indicate that sport science is meaningful and endurance testing is of high informative value for them. Endurance testing is regularly done in the lab, but also field tests are carried out each year. They particularly empower and support athletes in their specific preparation for important competitions. Also in the future new competition formats can be prepared and training may be monitored by a new format of specific tests. In various endurance sports physiological demands may be similar. Therefore an improved exchange of knowledge, skills, and other insights between different sport federations about endurance testing is mostly desirable. In Switzerland this knowledge transfer should be further enhanced.

Zusammenfassung

Die Leistungsdiagnostik hat bei Swiss Orienteering eine langjährige Tradition und ist zu einem wichtigen Instrument zur Trainingssteuerung der Athleten geworden. Der Wert der Tests wird bei der Mehrzahl der Athleten und den Trainern erkannt. Neben den Labortests wurden vermehrt auch Feldtests entwickelt, die insbesondere eine gezielte Vorbereitung auf die Zielwettkämpfe ermöglichten. Auch zukünftig sollen neue Wettkampfformen durch neue Tests begleitet werden. Zu wünschen wäre, dass ein vermehrter Austausch bezüglich der durchgeführten Tests zwischen den Sportverbänden stattfinden würde. Oftmals haben die verschiedenen Sportarten ein ähnliches Anforderungsprofil, sodass durchaus auch Testformen und daraus resultierende Erkenntnisse übernommen werden könnten. Gerade im Bereiche Leistungsdiagnostik könnte in der Schweiz dieser Wissenstransfer noch verbessert werden.

Einleitung

Swiss Orienteering war in den letzten Jahren aufgrund der hervorragenden internationalen Wettkampfresultate ein sehr erfolgreicher Sportverband. Die Schweizer OL-Läufer/innen gewannen regelmässig Medaillen an WM-, EM-und Weltcup-Läufen. Zusammen mit den skandinavischen Athleten  aus Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland dominieren sie diese Sportart. Verschiedene Gründe führen zu diesen Erfolgen: der professionelle Nationalkaderbetrieb, die guten Trainingsmöglichkeiten in der Schweiz, die grosse Konkurrenz innerhalb des Teams, das grosse Wissen bei Trainer und Verbandsangestellten, die hohe Anzahl an Wettkämpfen in der Schweiz, die Qualität der OL-Karten und noch vieles mehr. Im Vergleich zu den Schweizern können die skandinavischen Athleten aber von grossflächigen und technisch fordernden Wäldern profitieren, die ihnen sehr hohe qualitative Trainingsmöglichkeiten bieten. Dadurch sind die Läufer aus dem Norden eher als «Techniker» bekannt, die vor allem sehr stark im Kompasslaufen sind. Natürlich gehören auch die Schweizer Athleten technisch zu den Besten, aber ihre Stärken liegen klar im physischen Bereich. Im Vergleich zur skandinavischen Trainings-Philosophie wird in der Schweiz sehr viel Wert auf die Qualität des physischen Trainings gelegt, unter anderem mit Fokus auf intensive Einheiten und auf den Laufstil. Oft trainieren OL-Läufer/innen in Leichtathletik-Clubs und gehören zu den schnellsten Cross- und Stras­sen-Läufern der Schweiz. Im Bereich der Trainingsqualität kommen auch die Leistungsdiagnostik und die Sportwissenschaft ins Spiel. Der OL-Verband hat eine lange Leistungsdiagnostik-Tradition. Schon 1990 wurden Kader-Athleten regelmässig getestet. Anfangs wurde primär ein Laktatstu­fentest durchgeführt, mit der Zeit kamen andere Tests dazu. Mit der Einführung von neuen Tests konnten oft physische Defizite frühzeitig erkannt werden. Jährlich durchgeführte Tests sollen die Athleten motivieren und eine positive Leistungsentwicklung unterstützen. Die sportwissenschaftliche Begleitung der Athleten trägt somit sicher auch zu den Erfolgen der Athleten bei.
Heute werden verschiedene leistungsdiagnostische Tests durchgeführt, einige davon vom Junioren- bis ins Elitealter, also während der ganzen Karriere (Laufbandstufentest, Steigungstest, Rumpfkrafttest). Einige Tests sind eher für jüngere Athleten (4×1000-m-Test, 3000-Meter-Lauf) konzipiert,  während andere Tests für ältere Athleten (5000-Meter-Lauf, Feldtest) gedacht sind. Die meisten Tests werden seit vielen Jahren nach dem gleichen Protokoll absolviert. Daraus resultiert eine grosse Datenbank, die sehr gute Quer- und Längsvergleiche innerhalb des OL-Kaders ermöglicht. Die Feldtests werden je nach den Anforderungen, welche in den folgenden Jahren an wichtigen Meisterschaften gefragt sind, jeweils neu entwickelt.

Im Folgenden sollen die durchgeführten Tests erläutert werden:

Laufbandstufentest

Jährlich wird dieser Test seit gut 30 Jahren anlässlich der sportärztlichen Untersuchung (SPU) von allen Athleten absolviert. In der Karriere eines Athleten wird dieser Test in der Regel im Alter von 18 Jahren mit dem Eintritt in das Juniorenkader zum ersten Mal durchgeführt und dann jährlich wiederholt. Die SPU findet im Frühjahr statt. Somit wird der Leistungsstand nach dem Wintertraining und entsprechend vor der Wettkampfsaison getestet und mit den individuellen Resultaten aus den früheren Jahren verglichen. Dank der grossen Datenbank können auch Quervergleiche mit den anderen Athleten gemacht werden. Dieser Test wird nach den Empfehlungen von Swiss Olympic durchgeführt: Nach jeweils 3 Minuten wird die Geschwindigkeit des Laufbands um 1,8 km/h erhöht. In der 30-sec-Pause zwischen den Stufen wird das Laktat gemessen und der Borg-Wert erfragt. 2017 wurde der Test erstmals leicht angepasst, indem man das Laufband während des Tests mit einer 1%-igen Steigung eingestellt hat, um die äusseren Verhältnisse (Gelände-und Luftwiderstand) besser abbilden zu können (Abb. 1).

Abb. 1: Athletenbeispiel: Entwicklung der Laktatkurven im Verlauf des jährlich durchgeführten Laufbandstufentests.

Rumpfkrafttest

Ein weiterer Test, der seit vielen Jahren von Junioren- und Eliteläufern durchgeführt wird, ist der globale Rumpfkrafttest von Swiss Olympic. Dieser besteht aus den drei Rumpf-Übungen für die ventrale, laterale und dorsale Rumpfkette. Er wurde 2005 im OL-Kader eingeführt, als der Sportwelt bewusst wurde, wie wichtig eine gute Rumpfstabilität einerseits für einen stabilen und schnellen Laufstil andererseits als Verletzungsprophylaxe ist. Seither gehört er zum fixen Programm des Kaderzusammenzuges jeweils im November. Heutzutage wird das Rumpfkrafttraining mehrmals wöchentlich von den Athleten durchgeführt. Entsprechend konnten die Testresultate stetig verbessert werden. 

Steigungstest

Es werden auch immer wieder neue Tests entwickelt und ins Kaderprogramm aufgenommen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der Steigungstest, ein Laktatstufentest auf dem Laufband mit 22% Steigung. Dieser Test wurde von Sandra Lauenstein als Masterarbeit an der EHSM entwickelt. Er sollte als Vorbereitung auf die OL-WM 2005 in Japan dienen im Wissen, dass das Gelände an diesem Wettkampf sehr steil werden würde. Aufgrund der generellen Relevanz der Steigungsfähigkeit im OL-Sport wird der Test bis dato durchgeführt. Der Test ist gleich aufgebaut wie der Laufbandstufentest (gleiche Stufen- und Pausenlänge). Das Inkrement pro Stufe beträgt jedoch 0,7 km/h. Die Resultate vom Steigungstest und vom flachen Laufbandstufentest werden verglichen und erlauben es, die Athleten als hügelstark, neutral oder hügelschwach einzuteilen. Schwächen können nachfolgend gezielt trainiert werden. Der Test hilft den Athleten auch bei taktischen Überlegungen während des Wettkampfes. Aufgrund des Stärke-Schwäche-Profils können die Routenwahl­entscheide beeinflusst werden. 

Feldtests

Die Feldtests werden meistens spezifisch auf eine Meisterschaft hin entwickelt und durchgeführt. Sie sind jeweils dem Geländeprofil des Zielwettkampfes angepasst. Vor der WM 2016 in Schweden wurde beispielsweise der nach dem WM-Ort benannte «Strömstad-Test» geplant. Bei diesem Feldtest wurden das Laufen auf dem Weg, das Querlaufen im Wald und das Laufen im Sumpf getestet. Der «Strömstad-Test» wurde 2017 durch den «Saliscendi-Test» ersetzt. Der neue Test sollte die Fähigkeit des Weglaufens, des Bergauflaufens und des Querlaufens im steilen Hang analysieren. Er diente als Vorbereitung für die Heim-EM im Tessin 2018 und wurde insgesamt viermal durchgeführt. Es war ein harter Test, bei dem es zudem an drei Testtagen regnete. Die Schweiz war die klar erfolgreichste Nation am Zielwettkampf. Der «Saliscendi-Test» trug sicher als wichtiger Mosaikstein in der Vorbereitung dazu bei.
Die Feldtests haben den Nachteil, dass sie von äusseren Faktoren wie Wetter, Bodenbeschaffenheit, Spuren usw. abhängig sind. Entsprechend ist der Längsverlauf bei unterschiedlichen Bedingungen mit Vorsicht zu interpretieren und  muss in die Diskussion mit den Athleten einfliessen. Umgekehrt hat man gemerkt, dass die Motivation der Athleten, im Wettkampfgelände einen Test machen zu können, hoch ist, da dieses Gelände visualisiert und die physiologischen Parameter direkt gemessen werden können. Daraus können Konsequenzen für das Training oder wiederum taktische Überlegungen für den Zielwettkampf gezogen werden.

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Zukunfts-Projekte

Die Sportart OL entwickelt sich weiter mit neuen Disziplinen und Wettkampfformen. Entsprechend sollen auch neue Tests entwickelt werden, um die zukünftigen Anforderungen untersuchen zu können. Ab 2020 wird es an der Sprint-WM eine neue Disziplin geben, den sogenannten knock-out Sprint. Diese Form, die sehr ähnlich dem Sprint-Format der Langläufer ist, beinhaltet einen «normalen» OL als Qualifikationslauf mit Einzelstart. Danach folgen Viertelfinale, Halbfinale und Finale mit Massenstart (6 Läufer starten gleichzeitig). Die Qualifikation dauert zirka 12 Minuten, die Finalläufe hingegen nur 6-8 Minuten. Dies bedeutet, dass ein guter Läufer an einem Tag bis zu viermal zum Einsatz kommt. Entscheidend werden somit nicht nur die technischen und physischen Fähigkeiten, sondern auch die Erholungsfähigkeit zwischen den Belastungen sein. Da ein solches Wettkampfprofil für den OL-Läufer neu ist, wird hierzu ein neuer Test entwickelt. Der Test soll einerseits die Sprintfähigkeit (schnelles Laufen auf hartem bzw. weichem Untergrund, Richtungswechsel, Abbremsen und Beschleunigen usw.), andererseits auch die repetitive Belastungsform mit 4 Läufen am gleichen Tag abbilden. Neben den üblichen Messungen während den Belastungen (Herzfrequenz und Laktat) möchte man diese Parameter auch während den Pausen messen, um die Erholungsfähigkeit der einzelnen Athleten untersuchen zu können. 
Der Test soll den Athleten aufzeigen, wie sie das Leistungsniveau über alle Läufe hinweg halten können.

Akzeptanz der Leistungsdiagnostik bei Athleten und Trainer

Leistungstests sind bei den Athleten unterschiedlich beliebt. Der Nutzen derselben wird entsprechend auch unterschiedlich bewertet. Gerade im OL-Sport kommen viele andere Faktoren dazu, welche letztendlich die Endleistung bestimmen. Die physischen Faktoren, welche die Tests analysieren, bilden nur Teilbereiche ab, deren Wichtigkeit von den Athleten verschieden bewertet und die Resultate für die Trainingsumsetzung unterschiedlich genutzt werden. Anlässlich des  Kaderzusammenzuges in Magglingen Anfang Dezember 2018 wurden die Athleten und Trainer des Junioren- und ­Elite-Kaders bezüglich der Motivation und des Nutzens der einzelnen Tests befragt. 53 Fragebogen wurden an das Elite- und Juniorenkader verteilt. Die Rücklaufquote betrug 83%.
Die Resultate zeigen, dass die Mehrheit der Athleten Leistungstests doch relativ gerne durchführt. Am beliebtesten sind vor allem die beiden Laufbandtests (Flach und Steigung). Am wenigsten gern wird der globale Rumpfkrafttest ausgeführt, wahrscheinlich, weil er nicht sportartspezifisch ist.
Auch wenn die Testmotivation unterschiedlich ist, geben doch die meisten Athleten einen hohen bis sehr hohen Nutzen der Tests an. So werden diese als Standortbestimmung und Inputs für das Training doch geschätzt. Der einzige Test, welcher den Athleten nach eigener Einschätzung nicht viel bringt, ist wiederum der Rumpfkraft-Test. Aus Sicht der Athleten wird der Test eher als Pflichtübung empfunden, welcher einmal im Jahr gemacht werden muss, aber kaum Einfluss auf die Trainingsplanung hat. Die Trainer bewerten die Tests als sinnvoll, insbesondere den Laufbandstufentest und die Bahntests (3000 und 5000 Meter).

Abb. 2: Motivation für den Test aus Sicht der Athleten.
Abb. 3: Nutzen des Tests für das Training aus Sicht der ­Athleten.

 

Zusammenfassung

Die Leistungsdiagnostik hat bei Swiss Orienteering eine langjährige Tradition und ist zu einem wichtigen Instrument zur Trainingssteuerung der Athleten geworden. Der Wert der Tests wird bei der Mehrzahl der Athleten und den Trainern erkannt. Neben den Labortests wurden vermehrt auch Feldtests entwickelt, die insbesondere eine gezielte Vorbereitung auf die Zielwettkämpfe ermöglichten. Auch zukünftig sollen neue Wettkampfformen durch neue Tests begleitet werden.  Zu wünschen wäre, dass ein vermehrter Austausch bezüglich der durchgeführten Tests zwischen den Sportverbänden stattfinden würde. Oftmals haben die verschiedenen Sportarten ein ähnliches Anforderungsprofil, sodass durchaus auch Testformen und daraus resultierende Erkenntnisse übernommen werden könnten. Gerade im Bereiche Leistungsdiagnostik könnte in der Schweiz dieser Wissenstransfer noch verbessert werden.

Korrespondenzadressen

Elena Roos
Bewegungswissenschaftlerin ETH
Sportmedizin Kerenzerberg
Praxis im Sonnenzentrum
Bahnhofstrasse 2a
8753 Mollis

 

Dr. med. Peter Züst
Sportmedizin Kerenzerberg
Praxis im Sonnenzentrum
Bahnhofstrasse 2a
8753 Mollis 

sportmedizin-kerenzerberg@hin.ch

Referenzen

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  2. Züricher S., Clénin G., Marti B. Uphill running capacity in Swiss elite orienteers, Swiss Federal Institute of Sport, Magglingen, Switzerland. ­LIITE 2 (2005).
  3. Knowlton RG., Ackerman KA., Kaminsky LA. Physiological and performance comparisons of running flat and hill routes as applied to orienteering navigation. J Sports Med. 28:189-193,1988.
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  5. Maier T., Gross M., Trösch S., Steiner Th., Müller B., Bourban P., Schärer Ch., Hübner K., Wehrlin J., Tschopp M., Wilhelm M., Clénin G., Züst P., Seidel R. Manual Leistungsdiagnostik, Bundesamt für Sport BASPO, Eid­genössische Hochschule für Sport, Magglingen, EHSM. 2016.
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