Original article

Tauchmedizin bei Kindern und Jugendlichen

Kretzschmar B1
1 Klinik für Kinder- und Jugendmedizin «Dr. Siegfried Wolff» Sankt Georg Klinikum Eisenach gGmbH

Abstract

The special feature in recreational scuba diving is the high ambient pressure under water. As a consequence, specific behavioral rules and special requirements exist for safe diving in children and adolescents, especially for the preparticipation examination done by the diving physician. In this overview article, we describe the physical basics of diving, the sport-specific characteristics of recreational scuba diving with a special focus on children and adolescents (Declaration of Eisenach). We describe the requirements for health and for the medical certification for scuba diving.

Zusammenfassung

Die Besonderheiten bei der Ausübung des Tauchsportes liegen in dem erhöhten Umgebungsdruck, bei dem der Sport unter Wasser ausgeübt wird. Daraus ergeben sich bestimmte Verhaltensregeln bei der Ausübung des Tauchens und besondere Anforderungen an die tauchsportärztliche Untersuchung, damit Kinder und Jugendliche sicher tauchen können. Es wird auf die physikalischen Grundlagen, die sportspezifischen Besonderheiten des Tauchens mit Kindern und Jugendlichen (Eisenacher Erklärung) eingegangen, sowie auf die Anforderungen an die Gesundheit und an die tauchsportärztliche Untersuchung.

Dieser leicht modifizierte Artikel erschien bereits unter: Kretzschmar B. Tauchmedizin bei Kindern und Jugendlichen. Pädiatr Praxis 2016; 85:653-662.

Einleitung

Tauchen ist ein Sport, der sich zunehmender Beliebtheit erfreut, gerade auch bei Kindern und Jugendlichen. 10 bis 15% der ausgestellten Taucherbrevets gehen an Kinder und Jugendliche. Die Umsätze des Tauchsportindustrieverbandes in dieser Altersklasse sind ähnlich hoch.
Aufgrund der speziellen Umgebung in der der Sport ausgeübt wird (= unter Wasser) wird in regelmässigen Abständen von den Tauchern eine Tauchtauglichkeitsuntersuchung gefordert. Diese orientiert sich an den Vorgaben der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM) und speziell bei Kindern und Jugendlichen an den Empfehlungen der Gesellschaft für Pädiatrische Sportmedizin (GPS). Zur ­Beurteilung der Tauchtauglichkeit gibt es verschiedene tauchmedizinische Diplome, die durch den Besuch von GTÜM anerkannten Kursen erworben werden können. Doch hier fangen die Probleme bereits an: In der aktuellen Taucherarztliste der GTÜM finden sich in Deutschland unter über 500 Taucherärzten nur 15 Kinder- und Jugendärzte!
So ist zu befürchten, dass die Tauchtauglichkeit bei vielen Kindern von Taucherärzten ohne pädiatrische Erfahrungen oder von Kinderärzten ohne tauchmedizinische Kenntnisse attestiert wird.

Warum ist Tauchmedizin etwas Besonderes?

Der entscheidende Faktor, der das Tauchen zu einer völlig anderen Sportart macht als alle anderen, ist der erhöhte Umgebungsdruck und die sich daraus ableitenden Folgen. Diese Folgen können im Wesentlichen auf zwei Faktoren begrenzt werden, auf die im Folgenden eingegangen wird:

  1. Druckabhängige Komprimierung gas-/lufthaltiger Hohlräume im Körper.
  2. Der druckabhängigen Löslichkeit von Gasen in den verschiedenen Körpergeweben.

1. Kompression luftgefüllter Höhlen
Auf der Erdoberfläche lastet ein Druck von ca. 1 bar auf uns. Unter Wasser kommt pro 10 Meter Tauchtiefe ein weiteres bar hinzu. Dabei passiert bei den ersten zehn Metern der grösste Druckunterschied. In zehn Metern Tiefe kommt es bereits zu einer Verdoppelung des Umgebungsdrucks. In dieser Hinsicht ist das Tauchen im flachen Wasser, so wie es für Kinder und Jugendliche meist begrenzt ist, durchaus problematisch, da hier die grössten Druckunterschiede passieren. Bildlich ausgedrückt hat ein Ballon in zehn Metern Tiefe nur noch das halbe Volumen von dem an der Oberfläche (siehe Abbildung 1).
Da Flüssigkeiten nicht kompressibel sind, führt der erhöhte Umgebungsdruck unter Wasser zu keinen nennenswerten Veränderungen. Betroffen sind aber die lufthaltigen Hohlräume im Körper. Dies sind in erster Linie die Lunge, die oberen Atemwege und das Mittelohr. Die Luft im Abdomen verursacht üblicherweise keine Probleme. Hin und wieder kann unter Zahnplomben eingeschlossene Luft aber zu Schmerzen führen. Bezüglich der Druckbelastung der Atemwege wird dies durch das Einatmen von isobarer Druckluft kompensiert: der Atemregler, aus dem der Taucher atmet, liefert die Druckluft immer zum jeweiligen Umgebungsdruck. Lediglich das luftgefüllte Mittelohr muss mittels Valsalva-Manöver regelmässig wieder mit Luft gefüllt werden, um den auf dem Trommelfell lastenden Aussendruck zu kompensieren.
Störungen beim Abtauchen können so zu einem Barotrauma führen. Wird der Druckausgleich zu spät oder gar nicht durchgeführt, kommt es zu entsprechenden Schmerzen und Verletzungen des Trommelfells und des Mittelohres (Blutergüsse oder gar Perforation). Ein Barotrauma kann auch beim Auftauchen entstehen, wenn sich die Luft wieder ausdehnt. Kommt es z.B. aufgrund von Schleimverlegungen zu Verschlüssen der Ausführungsöffnungen (z. B. der Nasennebenhöhlen, der Alveolen oder der kleinen Bronchien), so kann es zu einem erheblichen Druckanstieg im Gewebe kommen (durch sogenanntes «Air trapping»). Dies wird sich im Bereich der Nasennebenhöhlen durch starke Schmerzen äussern und kann in der Lunge zu Lungeneinrissen mit der Ausbildung eines Pneumothorax oder einer arteriellen Gasembolie führen.

2. Druckabhängige Lösung von Gasen
Das Gesetz von Henry besagt, dass die Löslichkeit eines Gases in einer Flüssigkeit von seinem Partialdruck abhängt. Durch die Erhöhung des Umgebungsdruckes beim Tauchen erhöht sich der Partialdruck und es wird deutlich mehr Gas vom Gewebe aufgenommen. Dies betrifft in erster Linie Sauerstoff und Stickstoff. Die restlichen kleinen Anteile der Atemluft spielen keine Rolle und können vernachlässigt werden. Je nach Tiefe und je nach Dauer wird somit mehr oder weniger viel Sauerstoff und Stickstoff im Körper gelöst. Zunächst im Blut, im weiteren Verlauf mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in den einzelnen Körpergeweben. Für den Sauerstoff stellt dies kein Problem dar, da er vom Körper verwendet wird und ein reger Austausch stattfindet. Bezüglich des Stickstoffes besteht das Problem darin, dass bei abnehmendem Druck dieses Gas wieder aus dem Körper hinaus diffundieren muss. Es wird aus dem Gewebe über das Blut an die Lunge abgegeben und dort wieder abgeatmet. Kommt es zu einem raschen Druckabfall durch rasches Auftauchen aus der Tiefe, so geht plötzlich viel gelöstes Gas in die gasförmige Form über und es entstehen im Blutsystem Luftblasen (analog dem Sprudeln einer plötzlich geöffneten Flasche Limonade). Diese Luftblasen können zu Mikro- oder Makrozirkulationsstörungen führen. Je nach Lokalisation kommt es zur entsprechenden Klinik. Diese reicht von einfachen kutanen Manifestationen (die sogenannten Taucherflöhe) bis hin zu arterieller Gasembolie im ZNS oder in der Wirbelsäule mit entsprechenden Ausfalls­erscheinungen.

Abbbildung 1: Druck-Volumen-Beziehung


Aus diesen beiden Gründen erfordert die Beurteilung der körperlichen Eignung eines potenziellen Tauchers Kenntnisse im Bereich der Tauchmedizin. Im Gegensatz zu anderen Sportarten kann dieser Sport z.B. bei Unwohlsein nicht einfach unterbrochen werden!

Grundsätze des Tauchens mit Kindern und ­Jugendlichen

Für das Tauchen mit Kindern gelten bestimmte Einschränkungen. Alle Tauchsportverbände sind sich darüber einig, dass das Tauchen mit Druckluft erst ab einem Alter von 8 Jahren sinnvoll ist. Weiterhin haben alle Verbände altersabhängige Begrenzungen der Tauchdauer und der Tauchtiefe festgelegt. Diese divergieren von Verband zu Verband, ähneln sich aber sehr stark. Entscheidend ist, dass kurze, erlebnisorientierte Tauchgänge im Flachwasserbereich durchgeführt werden. Der Schwerpunkt beim Kindertauchen liegt weniger im Erzielen sportlicher Rekorde, sondern in der Entdeckung der Unterwasserwelt. Um dorthin zu kommen, müssen die Kinder eine gewisse körperliche Fitness haben, Schwimmen können und mit der ABC-Ausrüstung (Flosse, Schnorchel und Maske) umgehen können. Darüber hinaus lernen sie altersangepasst die Besonderheiten des Tauchens (physikalische Grundlagen, Ausrüstung, Verhalten unter Wasser usw.). Unter Wasser werden die vorher gelernten Techniken spielerisch eingeübt (wie z.B. die richtige Beantwortung von Unterwasserzeichen).
Das Wohl und das Interesse des Kindes sollten beim Kindertauchen stets im Vordergrund stehen! Kinder sind keine vollwertigen Tauchpartner für Erwachsene. Daher müssen auch Erwachsene, vor allem tauchende Eltern, ihre Motivation reflektieren; wer möchte wirklich tauchen, das Kind oder die Eltern?
Bei der Tauchausbildung werden optimale Umgebungsbedingungen gefordert. Sie sollten stets schwimmbadähnlich sein: gute Sicht, warmes Wasser, um einem vorzeitigen Auskühlen vorzubeugen. Darüber hinaus gibt es in der Regel eine 1:1-Betreuung erwachsener Tauchlehrer zum lernenden Kind.
Tauchausbilder und erst recht tauchende Eltern sollten einen Lehrgang zum Thema «Tauchen mit Kindern» absolvieren, wie er von den meisten Tauchsportorganisationen angeboten wird. In diesem Lehrgang wird auf die Besonderheiten beim Tauchen mit Kindern eingegangen.
Die Arbeitsgruppe «Kindertauchen» in der Gesellschaft für pädiatrische Sportmedizin (GPS) hat 2014 allgemeingültige Empfehlungen und Grundsätze zum Thema «Tauchen mit Kindern und Jugendlichen» veröffentlicht, die sog. Eisenacher Erklärung. Diese Erklärung stellt gewissermassen einen Konsens zu dem Thema dar, und die Erklärung wurde von allen namhaften Tauchsportorganisationen mitunterschrieben. Darüber hinaus bietet die Eisenacher Erklärung Eltern die Möglichkeit, Tauchsportangebote auf ihre Kindertauglichkeit hin zu überprüfen.

Eisenacher Erklärung zum Tauchen mit Kindern und Jugendlichen

Tauchen ist ein sicherer Sport! Anfänger und ganz besonders Kinder und Jugendliche müssen aber vor den besonderen Gefahren geschützt werden, die durch Fehlverhalten entstehen können. Die unterzeichnenden Organisationen verpflichten sich, zum Schutz der Kinder und Jugendlichen folgende Grundsätze zu beachten.

  1. Die Sicherheit und die Unversehrtheit der Kinder und Jugendlichen ist oberstes Gebot aller Tauchangebote.
  2. Die Persönlichkeitsrechte der Kinder und Jugendlichen werden respektiert.
  3. Jede Tauchaktivität erfolgt nur freiwillig.
  4. Kinder müssen mindestens das 8. Lebensjahr vollendet haben, um mit einem Drucklufttauchgerät zu tauchen. Dabei ist der individuelle Entwicklungsstand des Kindes zu berücksichtigen.
  5. Jede Ausbildung wird nur unter Aufsicht eines für diese Altersgruppe qualifizierten Tauchausbilders durchgeführt. Der Ausbilder muss während der gesamten Ausbildung in adäquater Reichweite des Kindes sein.
  6. Die weiteren verantwortlichen Erwachsenen (Erziehungsberechtigte, begleitende Erwachsene beim Tauchen) müssen die besonderen Risikomomente beim Tauchen mit Kindern kennen.
  7. Die ersten Tauchgänge finden im Schwimmbad/Pool oder einem begrenzten Tauchgewässer statt, das vergleichbare Bedingungen hinsichtlich Tiefe, Temperatur und Sichtweite aufweist.
  8. Freigewässertauchgänge nach der Ausbildung des Kindes werden nur in Begleitung eines qualifizierten Erwachsenen durchgeführt. Es gelten die Richtlinien der jeweiligen Ausbildungsorganisation.
  9. Für Kinder gelten auch bei fortgeschrittenem Ausbildungsstand besondere Grenzen, um die physiologischen Risiken zu minimieren. Dazu haben die jeweiligen Tauchsportorganisationen altersabhängige Grenzen für Tauchdauer, Tauchtiefe und Umgebungsbedingungen festgelegt. Die Ausrüstung muss dem Kind angepasst sein.
  10. Vor jeder Tauchaktivität wird das richtige Verhalten vor, während und nach dem Tauchgang abgesprochen. Nur wenn dies vom Kind verstanden wird, darf getaucht werden.
  11. Besonderer Wert wird beim Tauchen mit Kindern und Jugendlichen auf die erlebnispädagogischen, umweltgerechten und sportlichen Aspekte des Tauchens gelegt.
  12. Die Unterzeichner verpflichten sich, bei Bekanntwerden von Zuwiderhandlungen diese den zuständigen Stellen zu melden (z.B. der jeweiligen Ausbildungsorganisation).

Eisenacher Erklärung der GPS 2014

Tauchunfälle

In der Literatur und in der Presse wird leider auch immer wieder von tödlichen Unfällen beim Tauchen von Kindern und Jugendlichen berichtet. Allerdings sind dies sehr seltene Ereignisse. So ergab die Tauchunfallstatistik des Verbands Deutscher Sporttaucher (VDST) von 2007 bis 2014 keinen einzigen gravierenden Tauchunfall! Somit ist Tauchen als eine sichere Sportart anzusehen. Analysiert man tödliche Unfälle beim Tauchen genauer, so stellt man fest, dass in den meisten Fällen elementare Grundsätze des Kindertauchens missachtet wurden. Die Gesellschaft für pädiatrische Sportmedizin hat daher 2014 die Eisenacher Erklärung publiziert, in welcher Mindeststandards für das Tauchen mit Kindern klar definiert sind. Diese Mindeststandards werden von allen grossen Tauchsportorganisationen eingehalten, auch wenn in der Praxis die Realität manchmal anders aussieht!

Tauchtauglichkeitsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen

Die Tauchtauglichkeitsuntersuchung von Kindern und Jugendlichen stellt an den Untersucher besondere Anforderungen. Nicht nur der Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern, sondern auch die erheblichen Differenzen innerhalb der Gruppe der Kinder/Jugendlichen z.B. bei der kardio-pulmonalen Leistungsfähigkeit sind evident (Hollmann et al.). So liegt zwischen der kardio-pulmonalen Leistungsfähigkeit eines 9-jährigen Kindes und eines 16-jährigen Jugendlichen ein Faktor 2,5 (…).
Innerhalb der Altersgruppen muss zusätzlich die Unterscheidung in «akzelerierte» und «retardierte» Jugendliche erfolgen. So können innerhalb der Gruppe der 10- bis 13-jährigen Kinder Unterschiede der Entwicklung bis zu 3 Jahren bestehen. Diese Differenzen innerhalb der Altersgruppen und die Unterschiede zum Erwachsenalter in Bezug auf die körperliche Leistungsfähigkeit und die psychische Erlebniswelt gilt es besonders zu berücksichtigen. Wir wissen, dass sich in der Pubertät nicht nur der Körper deutlich verändert, sondern auch im Kopf erhebliche Entwicklungsschritte stattfinden. So entwickelt sich ab dem 14. Lebensjahr eine ­erwachsenenähnliche Risikoeinschätzung, in Extremsituationen aber kommt es oft zu spontanen unüberlegten Entscheidungen (subcortikales limbisches System).

(Beyer et al.; Tauchtauglichkeit von Kindern und Jugend­lichen: Vorschlag für einen neuen Untersuchungsbogen; Caisson 26. Jg.; Juni 2011)

Tauchtauglichkeitsuntersuchungen sollten nur von tauchmedizinisch ausgebildeten Ärzten erfolgen. Die Belastungen durch den Unterwassersport sind sehr speziell und mit keiner anderen Sportart zu vergleichen. Zur Qualifizierung der Ärzte bietet die Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM) verschiedene Diplome an. Für die Beurteilung der Tauchtauglichkeit sind dies die Diplome I («Tauchtauglichkeitsuntersuchung») und IIa («Taucherarzt»).
Viele Taucherärzte fühlen sich bei der Beurteilung der Tauchtauglichkeit eines Kindes unsicher oder lehnen die Untersuchung ganz ab, da sie keine Erfahrung in der Kinder- und Jugendmedizin haben.
Aufgrund der Besonderheiten bei Kindern wurde von verschiedenen Autoren und zuletzt von der Arbeitsgruppe «Kindertauchen» der GPS ein Tauchtauglichkeits-Untersuchungsbogen für Kinder entwickelt und veröffentlicht (www.kindersportmedizin.org; http://www.gtuem.org). Der Hauptunterschied zu dem für Erwachsene entwickelten Bogen ist, dass ein wesentlich grösserer Wert auf die sportliche Anamnese des Kindes gelegt wird. Diese gibt häufig deutlich mehr Informationen als der körperliche Untersuchungsbefund.
Eine weitere Besonderheit liegt in der Tatsache, dass die Kinder aktiv eingebunden werden. Einen Teil der Anamnese sollen sie z.B. selbst ausfüllen. Das Vervollständigen von einzelnen Sätzen (z.B. Ich möchte gerne tauchen, weil …), soll den Fokus ganz auf die Wünsche des Kindes legen. So fühlt sich das Kind ernst genommen und es kann aktiv an seiner Tauchtauglichkeitsuntersuchung teilnehmen. Auf der anderen Seite bieten solche Fragen auch die Möglichkeit auszuloten, ob das Kind selbst tauchen möchte oder ob es mehr dem Wunsch der tauchbegeisterten Eltern entspricht!
Bei medizinischen Fragen bietet es sich für Nicht-Pädiater an, sich mit dem jeweiligen Kinder- und Jugendarzt des Tauchkandidaten in Verbindung zu setzen. Die Einwilligung dazu kann in einer dafür vorgesehenen Zeile des tauchsport­ärztlichen Untersuchungsbogens (TTU-Bogen) dokumentiert werden. Gegebenenfalls müssen weitere fachärztliche Untersuchungen veranlasst werden. Ebenso kann bei speziellen Fragen zum Verhalten des Kindes (z.B. bei ADHS-Symptomatik) Rücksprache mit dem Tauchlehrer genommen werden. Da die Kinder häufig bereits in einem Verein im Schwimmbad trainieren, kann so eine praxisbezogene Einschätzung vom Tauchausbilder gegeben werden und in die Beurteilung mit einfliessen. So kann eine individuelle Einschätzung der Tauchtauglichkeit erreicht werden. Bleibt die Tauchtauglichkeit eines Kindes dennoch schwer zu beurteilen, so kann das Intervall bis zur nächsten Untersuchung verkürzt werden.
Da den Eltern oftmals die Besonderheiten und somit die Bedeutung und die Gefahren des Tauchsportes nicht bekannt sind, besteht die Möglichkeit, die Eltern über die grundsätzlichen Risiken des Tauchsports aufzuklären und sich dies durch Unterschrift auf dem TTU-Bogen bestätigen zu lassen. Abgerundet wird die Tauchtauglichkeitsuntersuchung nach den Empfehlungen der GPS durch das Aushändigen eines Merkblattes, in dem allgemeine Informationen über Tauchen und Tauchtauglichkeit für die Eltern zusammengestellt sind.

Spezielle tauchmedizinische Aspekte

Hals-Nasen-Ohren-Bereich
Der HNO-Bereich ist beim Tauchen ein besonders exponierter Bereich. Die Kinder müssen bei der Ausübung des Tauchsports frei von Infekten sein und der Druckausgleich über die Eustach’sche Tube (Valsalva Manöver) muss möglich sein (siehe auch Klingmann). Hypertrophe Adenoide («Polypen») mit Belüftungsstörungen des Mittelohres (chronischer Paukenerguss) müssen ebenfalls vor dem Beginn des Tauchsportes saniert werden.

Lunge
Nach der Geburt befindet sich die Entwicklung der Lunge in der sog. Alveolar-Periode, d.h. es kommt zu einer Ausdifferenzierung von Alveolen. Dieser Vorgang dauert ca. bis zum 8. Lebensjahr. Ab dann findet nur noch eine Grössenzunahme der vorher angelegten Strukturen statt. Dies ist der Hauptgrund, warum alle Tauchsportorganisationen sich auf ein Mindestalter für das Tauchen mit Druckluft-Tauchgerät von 8 Jahren geeinigt haben.
Eine weitere Besonderheit der kindlichen Lunge sind die engen Radien der Atemwege. Der Widerstand der Atemwege ist umgekehrt proportional zur 4. Potenz des Radius. Anders herum heisst dies, dass wenn die Atemwege halb so gross sind, erhöht sich der Atemwiderstand auf das 16-Fache. Die unmittelbare Bedeutung für das Tauchen besteht darin, dass aufgrund der erhöhten Atemarbeit bei Kindern, Anstrengungen vor dem Tauchen vermieden werden sollten. Auch eine längere Erschwerung der Atmung durch eng anliegende Neoprenanzüge sollte vermieden werden. Beides stellen Risikofaktoren für ein «Essoufflement» (französich Atemlosigkeit, Kurzatmigkeit, «aus der Puste kommen») unter Wasser dar. Beim «Essoufflement» kommt es zu einer Tachypnoe und einem paradoxen Anstieg des pCO2 (durch eine ungenügende und flache Atmung). Alles in allem scheint dieser Punkt aber in der praktischen Tauchtätigkeit eine geringe Rolle zu spielen.

Asthma/hyperreagibles Bronchialsystem
Wegen der Gefahr des «Air trappings» (d.h. Einschliessen von Luft in Alveolen und Bronchiolen durch Schleimpfropfe oder verengte Bronchien mit der Gefahr des Alveolar-Risses) gilt ein Asthma bronchiale allgemein als Kontraindikation für den Tauchsport. In den letzten Jahren wurde allerdings bei Erwachsenen die strenge Kontraindikation gelockert. So gilt heute ein stabil eingestelltes Asthma ohne klinische Symptomatik nur noch als relative Kontraindikation zum Tauchen. Bei Kindern ist die Situation ähnlich. Bei einem Kind mit einem exogen-allergischen Asthma, welches unter Dauertherapie mit einem inhalativen Kortikoid symptomfrei ist, ist die Tauchtauglichkeit sicher anders zu beurteilen, als bei einem Kind mit einem anstrengungsinduzierten Asthma. Wenn von den einheimischen Seen einmal abgesehen wird, finden die meisten Tauchsport-Aktivitäten im Meer statt, somit in einer allergenarmen Umgebung. Häufig sind daher asthmatische Kinder an der See symptomfrei. Darüber hinaus wird aus den Druckluftflaschen hochreine gefilterte Luft geatmet, sodass es auch hierbei zu keinem Allergenkontakt kommen kann. Allerdings ist die eingeatmete Luft sehr trocken (um ein Rosten der Stahlflaschen zu vermeiden) und sehr kalt (Gesetz von Gay Lussac: nimmt das Volumen bei der Reduktion vom Flaschendruck auf Atemdruck zu, so muss die Temperatur entsprechend sinken). Kalte und trockene Luft kann aber einen starken Reiz bei hyperreagiblem Bronchialsystem darstellen und zu einer signifikanten Atemwegobstruktion führen. Daher sollte die Tauchtauglichkeit bei Kindern mit solchen pulmonalen Symptomen restriktiv und sehr individuell entschieden werden. Ausserdem gilt gerade deshalb:

Bei der Tauchtauglichkeitsuntersuchung ist die Durchführung einer Lungenfunktionsuntersuchung zwingend vorgeschrieben!

Herz/Kreislauf

Bei der Beurteilung der Tauchtauglichkeit bei angeborenen oder erworbenen Herzerkrankungen ist die sportliche Anamnese ein ganz wesentlicher Punkt. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass es beim Tauchen zu einer Veränderung der Hämodynamik und der Herzarbeit kommt. Durch Volumenverlagerungen kommt es zu einer vermehrten Belastung des rechten Herzens und durch die Vasokonstriktion der peripheren Gefässe kommt es zu einer verstärkten Belastung des linken Herzens.
Als Kontraindikationen zum Tauchen gelten Herzscheidewanddefekte (wegen der Gefahr paradoxer arterieller Gas­embolien); Herzrhythmusstörungen, die zu plötzlichen Problemen führen können (z.B. Long-QT-Syndrom, höher gradige AV-Blocks, WPW), alle Erkrankungen mit Herzinsuffizienz, bei implantierten Herzschrittmachern, bei Vorliegen unklarer Synkopen. Ein angeborener und erfolgreich operierter Herzfehler stellt keine Kontraindikation zu Tauchen per se dar! Hier empfiehlt es sich, Rücksprache mit dem behandelnden Kinderkardiologen zu halten! (Beyer). Für alle Kinder und Jugendliche gilt unabhängig eines Vorhandenseins eines Herzvitiums deshalb:

Bei der Tauchtauglichkeitsuntersuchung ist die Ableitung eines EKGs zwingend vorgeschrieben!

Skelett

Das Tauchen kann durch zwei Mechanismen langfristige Auswirkungen auf das Skelettsystem haben: eine Schädigung der Wachstumsfugen durch Mikroblasen oder durch die schwere Tauchausrüstung.

1. Schädigung der Wachstumsfugen durch Mikroblasen
Das kindliche Skelett ist durch sehr aktive Wachstumsfugen gekennzeichnet. Dort findet das Längenwachstum der Knochen statt. Entstehen beim Tauchen infolge von Dekompressionsvorgängen Blasen im Blutsystem, so ist es vorstellbar, dass diese sich ebenfalls in den Wachstumsfugen bilden (siehe «Taucherflöhe» mit Schulterschmerzen bei erwachsenen Tauchern). Kommt es lokal zu Entzündungsvorgängen, so ist grundsätzlich eine Schädigung der Wachstumsfugen vorstellbar. Auf der anderen Seite zeichnen sich diese Wachstumsfugen durch eine erstaunliche Reparationsfähigkeit aus. Nicht selten kommt es bei Stürzen im Kindesalter zu Frakturen quer durch die Wachstumsfuge, die nach Reposition und ggf. sogar transepiphysärer Reposition mittels Kirschner-Drähten folgenlos ausheilen. Von daher ist eine nennenswerte Schädigung der Wachstumsfugen mit anschliessender dauerhafter Wachstumsstörung zwar theoretisch denkbar, erscheint insgesamt aber sehr wenig realistisch. Entsprechende Berichte über Wachstumsstörungen nach Dekompressionsunfällen finden sich auch nicht in der Literatur. Hinzu kommt, dass durch die Tiefenlimits beim Tauchen mit Kindern und Jugendlichen wahrscheinlich kaum (wenn überhaupt) Blasen entstehen. In einer Untersuchung an tauchenden Jugendlichen konnte eine französische Arbeitsgruppe nach dem Tauchen keine Blasen im Blutsystem detektieren (Lemaitre).

2. Schädigung des Skelettsystems durch die schwere Tauchausrüstung
Eine Tauchausrüstung ist schwer! Die Druckluftflasche aus Stahl, Bleigewichte, um den Auftrieb des Neopren-Anzugs zu kompensieren, Atemregler und die übrigen Ausrüstungsgegenstände führen rasch zu einem Gewicht von 14 kg! Eine langfristige Schädigung des wachsenden Skeletts durch zu schwere Tauchausrüstung erscheint aufgrund der kurzen Dauer als wenig wahrscheinlich, ganz im Gegensatz zu akuten Überlastungen mit Zerrungen (vor allem der Knie- und Sprunggelenke), Kreuzschmerzen usw. Es sollte aber dennoch alles daran gesetzt werden, die Gewichtsbelastung des Skeletts bei der Ausübung des Tauchsportes möglichst gering zu halten. Dazu sind verschiedene Empfehlungen für Erwachsene formuliert worden (Muth), die sich genauso auf Kinder anwenden lassen («Rückenschule»!).

Stoffwechsel

Diabetes mellitus
Der insulinpflichtige Diabetes mellitus stellt eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen des Kindes- und Jugendalters dar. Nach den Empfehlungen der GTÜM ist eine Tauchtauglichkeit bei Diabetes vor dem 18. Lebensjahr nicht gegeben. Unseres Erachtens kann diese Einschätzung relativiert werden! Entscheidend sind die diabetische Einstellung und der Umgang mit der Erkrankung. Besteht der Diabetes mellitus seit Längerem und kommt der Patient gut damit zurecht, ist der Tauchlehrer informiert und die Eltern einverstanden und ggf. auch bei den Tauchaktivitäten anwesend, wird regelmässig vor und nach dem Tauchen Blutzucker gemessen, hat der Tauchlehrer Traubenzucker für die Notfallversorgung unter Wasser mit und hat der Tauchschüler die Einnahme unter Wasser geübt, so ist eine Tauchtauglichkeit bei Kindern und Jugendlichen durchaus möglich.
Bei frisch aufgetretenem Diabetes mellitus sollte eine stabile Stoffwechseleinstellung und ein sicherer Umgang mit der Erkrankung abgewartet werden. Dies ist üblicherweise nach einem Zeitraum von 6 bis 12 Monaten der Fall.

Ein jugendlicher Diabetiker, der derzeit «mal wieder kein Bock auf Insulin hat!», ist definitiv nicht tauchtauglich!

Psyche

Sinnvollerweise erfolgt die Beurteilung der Tauchtauglichkeit bei Diabetikern in enger Absprache zwischen dem betreuenden Kinder- und Jugendarzt, dem behandelnden Diabetologen und dem Tauchmediziner!

ADHS

Das Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADS bzw. ADHS) gilt allgemein als Kontraindikation fürs Tauchen. Hintergrund ist die Impulsivität und die mangelnde Verhaltenskontrolle dieser Patienten, auch wenn die Symptomatik durch die Einnahme von Stimulanzien (z.B. Methylphenidat) deutlich gebessert ist. Im pädiatrischen Bereich sehen wir dies allerdings entspannter. Die Erfahrung zeigt, dass viele Kinder mit ADHS, auch wenn sie über Wasser sehr anstrengend sind, unter Wasser verlässliche Tauchpartner sind. Dies gilt unabhängig davon, ob sie Medikamente nehmen oder nicht. Die Einnahme von Medikamenten ist aufgrund der geringen Tauchtiefe unproblematisch (kein Risiko einer Interaktion mit einer möglichen Stickstoffnarkose). Wir empfehlen daher ein pragmatisches Vorgehen. Nach entsprechender Untersuchung und vor allem nach dem Abfragen von eventuellen Komorbiditäten sollte das Kind erst einmal am Schwimmbadtraining teilnehmen. Wenn dies erfolgreich durchgeführt wird, kann nach entsprechender Rücksprache mit dem Tauchausbilder eine Tauchtauglichkeit ausgesprochen werden.
Die AG Kinder- und Jugendtauchen der GPS hat zu diesem Thema eine umfangreiche Stellungnahme verfasst (siehe http://www.kindersportmedizin.org ).

Das Wichtigste für die Praxis

  • Ein gewöhnliches «Sportattest» reicht nicht für die Ausübung des Tauchsportes – eine tauchsportärztliche Untersuchung durch Taucherärzte ist unabdingbar!
  • Entstehen Fragen bei der Beurteilung der Tauchtauglichkeit bei Kindern, empfiehlt sich ein grosszügiges Einbinden des betreuenden Kinderarztes oder des Tauchausbilders!
  • Kinder sollten stets tauchen im Rahmen spezieller Kindertauchprogramme, wie sie von allen Tauchsportorganisa­tionen angeboten werden!
  • Die Sicherheit der tauchenden Kinder und Jugendlichen wird gewährleistet, wenn die Empfehlungen der Eisenacher Erklärung umgesetzt werden!

Korrespondenzadresse

Dr. Benno Kretzschmar
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Neonatologe; Kindergastroenterologe
Taucherarzt (GTÜM)
Chefarzt der Klinik für Kinder-
und Jugendmedizin «Dr. Siegfried Wolff»
Sankt Georg Klinikum Eisenach gGmbH
Mühlhäuserstr. 95, 99817 Eisenach
Tel.: 03691-698 26 00
Fax: 03691-698 72 60
Mail: kretzschmar@stgeorgklinikum.de

Literatur/Websites

  1. Beyer C, Kretzschmar B, Tetzlaff K. Moderne Tauchmedizin im Kindes- und Jugendalter; Gentner Verlag, Stuttgart, 1. Auflage, 2017 (ISBN: 978-3-87247-769-9).
  2. Beyer C, Winkler B, Muth CM, Tetzlaf K. Tauchtauglichkeit von Kindern und Jugendlichen: Vorschlag für einen neuen Untersuchungsbogen. Caisson 2011;2:7-8.
  3. Klingmann C, Tetzlaff K. Moderne Tauchmedizin. Handbuch für Tauchlehrer, Taucher und Ärzte, Gentner Verlag, Stuttgart, 2. Auflage, 2012 .
  4. Götte K, Nicolai T. Pädiatrische HNO-Heilkunde. Urban & Fischer Verlag, Elsevier GmbH, München, Deutschland, 1. Auflage, 2010 (ISBN: 978-3-437-24660-9).
  5. Beyer C. Tauchtauglichkeitsuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Herzfehlern; Kinder- und Jugendarzt 2006;37:789–793.
  6. Lemaitre F, Carturan D, Tourney-Chollet C, Gardette B, Circulating venous bubbles in children after diving. Pediatric Exercise Science, 2009;21:77-85.
  7. Muth et al; Tauchen; JAHR TOP SPECIAL VERLAG;12/2009; 72-77.
  8. http://www.kindersportmedizin.org
  9. http://www.gtuem.org

Danksagung

Ich bedanke mich bei Frau Dr. H. Gatermann, Hamburg, und bei Dr. K. Theiss, St. Ingbert, für die kritische Durchsicht des Manuskriptes.

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