Lutz N¹,², Zesiger L², Rogan S¹,³,⁴, Tscholl PM⁵
¹ Berner Fachhochschule, Departement Gesundheit, Abteilung Physiotherapie, Bern, Schweiz
² Hirslanden Klinik Linde, Abteilung Physiotherapie, Biel, Schweiz
³ Akademie für integrative Physiotherapie und Trainingslehre, AfiPT, Grenzach-Wyhlen, Deutschland
Vrije Universiteit Brussel, Fakultät für Sport- und Bewegungswissenschaften und Physiotherapie, Brüssel, Belgien
⁵ Centre de médicine de l’appareil locomoteur et du sport, Hôpitaux Universitaires de Genève, Suisse

Abstract

The aim of this article is to present functional exercises recommended for patellofemoral knee problems based on current clinical guidelines.
These exercises can easily be performed by patients at home. The correct execution and quality of movement must be supervised so that the training can be implemented in a goal-oriented manner and ultimately lead to adequate muscular fatigue. Individual guidance and occasional monitoring by a physical therapist are helpful. The main focus is on training the gluteal and quadriceps muscles, as well as the corresponding muscular chains of the lower extremity and the trunk, which together provide the conditions for a stable leg axis. As a result, pain can be reduced and muscle function improved in people with patellofemoral knee problems.

Zusammenfassung

Ziel dieses Artikels ist es, anhand aktueller klinischer Richtlinien funktionelle Übungsempfehlungen bei patellofemoralen Kniebeschwerden aufzuzeigen. Die Übungen können von Patienten einfach zu Hause durchgeführt werden. Zu beachten ist dabei eine korrekte Bewegungsausführung und -qualität, damit das Training zielführend umgesetzt werden und schlussendlich eine adäquate muskuläre Ermüdung erfolgen kann. Dabei sind eine individuelle physiotherapeutische Anleitung und punktuelle Begleitung hilfreich. Im Hauptfokus steht das Training der Gluteal- und Quadrizepsmuskulatur, als auch der entsprechenden muskulären Ketten der unteren Extremität und des Rumpfes, welche zusammen die Voraussetzungen für eine stabile Beinachse ermöglichen. Dadurch können Schmerzen bei Personen mit patellofemoralen Kniebeschwerden reduziert und die Muskelfunktion verbessert werden.

Einleitung

Die aktive Bewegungstherapie stellt einen wichtigen Behandlungspfeiler patellofemoraler Kniebeschwerden dar [1,2]. Einer­seits bei einer Über- oder Fehlbelastung, bei welcher gemeinsam mit der betroffenen Person die individuell angepassten Übungen erarbeitet werden. Andererseits auch bei Unterbelastung aufgrund von Schmerzen und Schonverhalten, wo funktionelle Reizsetzungen fehlen, ermöglichen die untenstehenden Basisübungen eine gezielte Stimulation der Muskelzellen mit entsprechendem Kraftaufbau.
Zu Beginn können Übungen gewählt werden, welche vorwiegend die Glutealmuskulatur trainieren und je nach Ausgangsstellung geringe Belastung auf das Kniegelenk ausüben. Sukzessive sollten dann auch kniebelastende Übungen eingebaut werden. Einen wichtigen Baustein stellt die Bereitschaft der Patienten dar, die Übungen in Eigenverantwortung auch ohne physiotherapeutische Betreuung durchzuführen. Es ist darauf zu achten, dass Fortschritte in der Bewegungskontrolle und im Schmerzverhalten erkennbar sind.
Für das untenstehende Trainingsprogramm wurden Übungen ausgewählt, welche mit eigenem Körpergewicht oder zusätzlich mit Hilfsmitteln (z.B. Theraband, Hanteln, Gewichtsscheiben) durchführbar sind. Das Trainingsziel und die Belastbarkeit bestimmen die Belastungsnormativen (Intensität, Umfang, Dichte und Dauer des Trainingsreizes). Um ein Heimprogramm durchzuführen, können drei bis vier Übungen aus dem unten dargestellten Programm ausgewählt werden [3]. Ein Krafttraining an Trainingsgeräten kann ebenso empfehlenswert sein, an welchen die für den Kraftaufbau erwünschte Ausbelastung etwas einfacher durch Zusatzgewichte reguliert werden kann (beispielsweise an der Beinpresse).
Die Übungen verfolgen das Ziel, die Muskelkraft zu verbessern sowie die individuelle Beinachse zu optimieren. Der Fokus liegt hierbei auf der Kräftigung der Gluteal- und Quadrizepsmuskulatur sowie der entsprechenden muskulären Ketten der unteren Extremität und des Rumpfes [4,5]. Grundsätzlich soll eine muskuläre Ermüdung bei guter Bewegungsqualität erreicht werden, dies kann auch über mehrere Serien erfolgen [6].
Soll mehr Wert auf Sensomotorik und Koordination gelegt werden, können die Übungen mit geschlossenen Augen oder teils auch auf instabilen Unterlagen ausgeführt werden. Im Idealfall erfolgt die Übungsausführung über das volle Bewegungsausmass. Als externer Fokus kann ein Laserpointer verwendet werden. Dies ist bei den Übungsvorschlägen 9, 10 und 11, mit Beispiel von Fixation am Oberschenkel ersichtlich, wodurch die Beinachse durch den Patienten direkt kontrolliert werden kann. Kniebeugewinkel und Bewegungsausführung (Rhythmus konzentrisch – exzentrisch, beschleunigend) können variiert werden. Je nach Ziel können die meisten Übungen bis zu sehr dynamischer, explosiver und nach Möglichkeit reaktiver Bewegungsausführung aufgebaut werden.
Im Programm sind die Übungen mit der jeweiligen Ausgangsposition und Ausführung beschrieben. Ebenso werden die Muskeln genannt, welche hauptsächlich angesteuert werden. Dabei wird unterschieden, ob es sich mehr um den Trainingseffekt Kraft oder Koordination handelt (mit –, + oder ++ gekennzeichnet).

1. Muschel (clamshell)

Ausgangsposition
Seitenlage, Knie angewinkelt.

Ausführung
Das zu trainierende Bein ist oben. Die Grosszehen haben stetigen Kontakt, und das obenliegende Knie wird nach oben geführt. Dadurch entsteht eine Hüftaussenrotation.

Zu beachten
Das Becken bleibt konstant in Neutralstellung (kein Hohlkreuz, keine Lateralflexion).
Durch die Knieflexion werden die Hüft­abduktoren vermehrt aktiviert (weniger der Tensor fasciae latae).

M. gluteus med. / min. ++

Kraft +
Koordination –

Übungsvariante:
Erhöhen des Widerstandes durch ein Theraband


2. Abduktion Seitenlage (side-lying leg lift)

Ausgangsposition
Seitenlage, unteres Knie angewinkelt.

Ausführung
Oberes Bein gestreckt anheben, mit der ­Ferse entlang der Wand nach oben und unten gleiten. Becken bleibt aufgerichtet (kein Hohlkreuz, keine Lateralflexion der Wirbelsäule).

Zu beachten
Leichte Innenrotation erhöht die Gesäss­muskel-Aktivität.

M. gluteus med. / min. ++

Kraft +
Koordination –

Übungsvariante:
Gewichtsmanschette am
oberen Bein


3. Seitstütz-Brücke (side-lying bridge)

Ausgangsposition
Seitwärtsstütz mit angewinkelten Knien
(zu trainierendes Bein unten).

Ausführung
Becken seitlich hochstossen und wieder ­absenken lassen (ohne Bodenkontakt).

Zu beachten
Schulter, Hüfte und Knie in einer Linie halten, Becken bleibt aufgerichtet (kein Hohlkreuz).

M. gluteus med. / min. ++
M. gluteus max. +
Seitliche Rumpfmuskulatur +

Kraft ++
Koordination +

Übungsvariante:
Unteres Bein gestreckt,
oberes Bein in die Höhe


4. Brücke (bridging)

Ausgangsposition
Rückenlage, Knie angewinkelt.

Ausführung
Gesäss anheben/senken (keinen Bodenkontakt).

Zu beachten
LWS in stabiler Position, kein Hohlkreuz – dadurch erfährt der M. rectus femoris eine Verlängerung, abhängig vom Kniebeuge­winkel.

M. gluteus med. / min. +
M. gluteus max. ++
Hamstrings ++

Kraft ++
Koordination –

Übungsvariante:
Leicht: beidbeinig
Mittel: einbeinig
Schwer: Standbein in ­vermehrter Extension


5. Abduktion Stand (standing side leg lift)

Ausgangsposition
Einbeinstand auf dem zu trainierenden Bein.

Ausführung
Spielbein seitlich abspreizen mit Theraband oberhalb der Malleolen. Fussspitze zeigt dabei leicht nach innen.

Zu beachten
Hüftinnenrotation des Spielbeins führt zu mehr Abduktoren-Aktivität des Stand­beines. Der Oberkörper mittig ausrichten und stabil halten.

M. gluteus med. / min. ++
M. quadriceps +

Kraft ++
Koordination –

Übungsvariante:
Theraband oberhalb des Knies (vereinfachend) oder um den
Vorfuss (erhöht Mm. peroneii Aktivierung und M. gluteus med.).


6. Stepper (step up)

Ausgangsposition
Stand auf dem zu trainierenden Bein auf ­einer Stufe.

Ausführung
Kurzes Antippen mit dem Spielbein auf dem Boden, ohne Gewichtsverlagerung.

Zu beachten
Stabiles Ausrichten des ganzen Körpers inkl. korrekter Beinachse. Kontrollierte Bewegungen, wenn notwendig sehr langsam.

M. gluteus med. / min. ++
M. gluteus max. +
M. quadriceps ++

Kraft ++
Koordination ++

Übungsvariante:
Seitlich nach hinten-links/rechts tippen.
Steigerung: Sprung auf Stepper.
Externer Fokus mit Laserpointer.


7. Storch (stork)

Ausgangsposition
Stand einbeinig, Ball zwischen Becken und Wand.

Ausführung
Über das zu trainierende Standbein das Becken nach seitlich oben zum Ball ­drücken.

Zu beachten
Spielbein in entsprechendem Winkel halten, sodass optimaler Druck auf den Ball übertragen werden kann.

M. gluteus med. / min. ++
M. quadriceps +

Kraft ++
Koordination +

Übungsvariante:
Standbein kann in der Hüfte und Knie flektiert gehalten werden.


8. Ausfallschritt an Ort (squat lunge)

Ausgangsposition
Ausfallschritt an Ort, Gewichtsverteilung symmetrisch.

Ausführung
Gewichtsverteilung gleichmässig. Körperschwerpunkt wird gerade nach unten ­gebracht.

Zu beachten
Becken bleibt aufgerichtet (kein Hohlkreuz), so auch optimale Dehnung auf dem hinteren Bein möglich (M. rectus femoris/ M. Iliopsoas). Möglichst volles Bewegungsausmass, ohne mit dem hinteren Knie den Boden zu berühren.

M. gluteus med. / min. +
M. gluteus max. +
M. quadriceps ++
Hamstrings +

Kraft ++
Koordination +

Übungsvariante:
Je nach Ziel das Gewicht mehr aufs vordere oder hintere Bein verlagern.
Zusatzgewicht möglich (Langhantel, Rucksack, Gewichtsscheiben).
Dynamischere Ausführung: aus dem Stand jeweils Schritt nach vorne oder nach hinten.


9. Einbeinige Kniebeuge mit Rutschpad (single leg squat/slider)

Ausgangsposition
Stand auf dem zu trainierenden Bein, Oberkörper leicht nach vorne geneigt.

Ausführung
Spielbein auf Rutschpad gerade nach hinten oder seitlich abspreizen (mit wenig Druck auf Pad gleiten lassen).

Zu beachten
Gewicht auf dem Standbein halten, ­welches in der Achse zu halten ist, keine raschen Korrekturbewegungen aus dem Rumpf.

M. gluteus med. / min. ++
M. gluteus max. +
M. quadriceps ++
Hamstrings +

Kraft ++
Koordination ++

Übungsvariante:
Externer Fokus mittels Laser­pointer am Standbein.
Grösserer Bewegungsradius.
Instabile Unterlage unter dem Standbein.


10. Kippbrett (balance board)

Ausgangsposition
Stand mit dem zu trainierenden Bein auf Kippbrett.

Ausführung
Seitwärtskippen des Kippbrettes durch ­Absenken des medialen bzw. lateralen Fuss­randes und anschliessendem Wiederaufrichten in die neutrale Position des ­Fusses.

Zu beachten
Aktive Pro-/Supination des Sprunggelenks bei stabiler Beinachse. Arme bleiben am Körper.

M. gluteus med. / min. ++
M. quadriceps +
Mm. peroneii ++
M. tibialis post. ++

Kraft –
Koordination ++

Übungsvariante:
Externer Fokus mit Laser­pointer.
Hinterer Fuss mehr oder weniger abstützen, Gewicht möglichst nur auf dem zu trainierenden Bein.


11. Kabelzug Rotation (cable pull rotation)

Ausgangsposition
Stand auf dem zu trainierenden Bein. Griff am Kabelzug auf der Standbeinseite.

Ausführung
Griff zur Gegenseite ziehen mit gestreckten Armen. Beinachse und Oberkörper bleiben stabil nach vorne ausgerichtet.

Zu beachten
Fliessende Bewegung, Körperspannung über die Rumpfmuskulatur.

M. gluteus med. / min. ++
M. quadriceps +
Hamstrings +
Rumpfmuskulatur +

Kraft +
Koordination ++

Übungsvariante:
Griff schräg nach oben/unten zur Seite ziehen.
Veränderung des Kniewinkels. Externer Fokus mit Laser­pointer.


12. Langhantel Rotation (barbel rotation)

Ausgangsposition
Stand auf dem zu trainierenden Bein. Knie gebeugt. Rücken fixiert Pezziball gegen die Wand.

Ausführung
Langhantel langsam nach aussen führen, in der Mitte Handwechsel.

Zu beachten
Oberkörper bleibt stabil. Keine zu grossen Gewichte.

M. gluteus med. / min. ++
M. gluteus max. +
M. quadriceps +/++
Hamstrings +
Rumpfmuskulatur +

Kraft ++
Koordination ++

Übungsvariante:
Tieferen Knieflexionswinkel wählen. Geschwindigkeit variieren. Gewichtsscheibe anstelle Langhantel. Rotation/Lateral­flexion des Oberkörpers gezielt miteinbeziehen.
Freistehend im einbeinigen Squat.

Ausgangsposition
Stand auf dem zu trainierenden Bein. Griff am Kabelzug auf der Standbeinseite.


13. Einbeiniges Rumpfaufrichten (single leg good morning)

Ausgangsposition
Einbeinstand, Knie nur leicht gebeugt.

Ausführung
Oberkörper bis in die Waagrechte nach vorne neigen, Spielbein nach hinten strecken und wiederaufrichten, ohne das Bein abzusetzen.

Zu beachten
Rücken bleibt gestreckt (kein Rundrücken), Kopf in der Verlängerung der Körperlängs­achse.
Stabile Beckenposition (waagrecht, kein seitliches Abkippen oder Hochdrehen).

M. gluteus med. / min. ++
M. gluteus max. ++
Hamstrings ++
M. erector spinae +

Kraft ++
Koordination ++

Übungsvariante:
Zu Beginn ohne Zusatzgewicht, dann mit Gewichtsscheibe, Kettlebell, Kurzhanteln usw. möglich.

Comments are closed.