Camathias Carlo1,2
1 Praxis Zeppelin, Brauerstrasse 95, 9016 St. Gallen
2 Medizinische Fakultät der Universität Basel, Klingelbergstrasse 6, 4056 Basel
Abstract
During puberty, when growth accelerates, physis are weak and at risk for slippage. The slipped capital femoral epiphysis is often misdiagnosed. It should be considered even if the patient’s symptoms are not typical. The diagnosis can usually be made on conventional x-rays in two planes. The goal of therapy is to prevent further slippage and, if necessary, to achieve reduction. Depending on the severity, different surgical methods may be used. Patients should be followed for years after surgery. Femoro-acetabular impingement symptoms may develop, which require treatment.
Zusammenfassung
Im akzelerierten Wachstum während der Pubertät ist die Fuge ein Schwachpunkt mit dem Risiko für eine Epiphysiolyse. Die Epiphysiolysis capitis femoris ist häufig verkannt, weshalb auch bei nicht typischen Hüftschmerzen daran gedacht werden sollte. Die Diagnose kann meist an einem konventionellen Röntgen in zwei Ebenen gestellt werden. Ziel der Therapie ist, das weitere Abrutschen zu verhindern und gegebenenfalls eine Reposition zu erreichen. Je nach Schweregrad können verschiedene Operationsmethoden zum Zug kommen. Die Patienten sollten auch Jahre nach der Operation noch betreut werden. Es kann sich eine Femoro-azetabuläte Impingement-Symptomatik ausbilden, welche behandlungsbedürftig ist.
Einleitung
Das Verletzungsrisiko bei Kindern hängt sehr stark mit der Wachstumsgeschwindigkeit zusammen. [1] So ist das Risiko vor und während der Pubertät am höchsten. In dieser Zeit der Wachstumssprünge können Probleme an den Epiphysen und Apophysen häufig bemerkt werden. Vor allem die Buben sind in dieser Zeit deutlich häufiger betroffen als die Mädchen. Zum einen wachsen sie schneller und sind schwerer. Dies bedeutet auch höhere Kräfte bzw. Momente an den Gelenken. Gleichzeitig ist die Risikobereitschaft bei den Buben höher als bei den Mädchen. Auch nimmt in unserer Gesellschaft der Stellenwert der sportlichen Aktivitäten, vor allem aber auch die Intensität zu, in der sie durchgeführt werden. Nicht selten trainieren Jugendliche mehr als 15–20 Stunden pro Woche. In der vulnerablen Phase der Pubertät kann dies problematisch werden.
Das Wachstum wird, nicht alleine, jedoch zu einem guten Teil durch die Sexualhormone vorangetrieben. Testosteron fördert das Wachstum der Muskulatur und der Knochen, lässt jedoch gleichzeitig die Fuge erweichen. Die Zugfestigkeit der Epiphysenfuge vermindert sich. [2] Gleichzeitig maturiert Östrogen die Fuge, das Wachstum verlangsamt sich, bis sich die Fugen schliesslich schliessen. Aus Sicht der Hormone erklärt sich daher sehr gut, weshalb die männlichen Epiphysenfugen bzw. Apophysen anfälliger auf Verletzungen sind. Es versteht sich daher von selbst, dass hormonelle Ungleichgewichte im Rahmen von Syndromen zu vermehrten Problemen im Bereich der Fuge führen. [3]
Epiphysiolysis capitis femoris
Einen Klassiker unter den Fugenproblemen stellt die Epiphysiolysis capitis femoris dar. Diese Entität wird, so häufig sie auch besprochen wird, genauso häufig auch verpasst. Obwohl die Inzidenz mit 2–9 pro 100 000 Jugendlichen angegeben wird, so wird dies heute zunehmend angezweifelt. [3] Neuere Untersuchungen bei Leistungssportlern legen den Verdacht nahe, dass die Epiphysiolyse deutlich häufiger vorkommt als erwartet. Dies könnte auch erklären, weshalb bei gewissen Patienten bereits in ihren frühen 30er-Jahren degenerative Veränderungen mit Beschwerden zu sehen sind. Könnte es sich hier um eine durchgemachte, jedoch nicht erkannte Epiphysiolyse handeln? Man schätzt, dass bis zu 40% aller Coxarthrosen auf eine Epiphysiolyse zurückzuführen sind. [4] Neuere Studien zielen mit ihren Untersuchungen auf diese Fragestellung. [5]
Die Festigkeit der Epiphysenfuge vermindert sich während der Pubertät. Ist die Belastung durch das Gewicht, eine erhöhte Intensität, oder durch die sportliche Aktivität entsprechend hoch, so steigt das Risiko für eine Epiphysiolyse.
Anamnese/Klinik
Die Patienten beklagen sich üblicherweise über plötzliche, teilweise jedoch auch über länger bestehende Schmerzen in der Leiste, im Oberschenkel und nicht selten auch im Kniegelenk. Manchmal besteht auch ein Zusammenhang mit einem Trauma. Hüftschmerzen, welche präpubertär oder pubertär entstehen, sollten immer Anlass sein, an eine Epiphysiolyse zu denken.
Klinisch kann häufig das Drehmann-Zeichen gesehen werden. Auch wenn dieses nicht vorliegt, kann eine Epiphysiolyse nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Es kann lediglich eine eingeschränkte Beweglichkeit der Innenrotation oder der Flexion gesehen werden. [4,3]
Radiologie
Das wichtigste diagnostische Kriterium ist das Röntgenbild. In jedem Fall sollte eine Aufnahme in zwei Ebenen durchgeführt werden. Idealerweise wäre dazu eine Beckenübersichts-Aufnahme anterior-posterior (ap) sowie eine axiale oder nach Lauenstein aufgenommene Bildgebung. Idealerweise wäre eine standardisierte Dunn-Ausnahme durchzuführen. Letztere ist jedoch auf ein technisches Know-how und eine spezielle Ausrüstung angewiesen. In den ap-Aufnahmen lässt sich teilweise eine verwaschene Fuge, eine Offsetminderung der Epiphyse zum Schenkelhals zeigen: Die sogenannte Klein-Linie schneidet die Epiphyse nicht mehr. Häufig wird jedoch das Abrutschen nach medial und dorsal erst in der zweiten Ebene ersichtlich. In der axialen Ebene kann auch der Abrutsch-Winkel bestimmt werden (Abb. 1). Weitere interessante Erkenntnisse können aus dem Ultraschall oder dem MRI gewonnen werden. Hier ist vor allem der Gelenkserguss und die Durchblutung des Femurkopfes zu erfahren. Konsequenterweise sollten beide Seiten untersucht werden, da die Epiphysiolysis capitis femoris auch beidseitig vorkommen kann. [4] In bis zu 40% rutscht die Gegenseite im Verlauf auch ab. [6]
Klinisch kann die Epiphysiolysis capitis femoris eingeteilt werden in ein akutes Stadium (die Anamnesedauer ist unter zwei Wochen), in ein akut auf chronisches Stadium (die Anamnesedauer ist mehr als zwei Wochen, es entsteht eine langsame Verschlechterung) und die chronische Variante mit einer Anamnesedauer von mehr als zwei Wochen. Diese Einteilung ist jedoch meist nicht wirklich aussagekräftig, da die Patienten die Beschwerden nicht immer einteilen können. Etwas pragmatischer ist es, den Patienten nach Gehfähigkeit einzuteilen. Ist er noch gehfähig, so darf man ihn bzw. die Epiphysiolyse als stabil betrachten, ist er nicht mehr gehfähig, als instabil.

Therapie
Ziel der Therapie ist, das weitere Abrutschen zu verhindern und gegebenenfalls eine Reposition zu erreichen. Die alleinige Reposition und weitere konservative Therapie werden als obsolet betrachtet. Operativ ist die reine Retention relativ einfach mit transfugalen Schrauben, Drähten oder Pins zu erreichen. Eine Reposition, insbesondere bei stark abgekippter Epiphysiolyse, kann meist nur durch einen erhöhten Aufwand erreicht werden (chirurgische Hüftluxation). Die geschlossene Reposition bei bereits chronischen Situationen weist ein erhöhtes Risiko für eine Hüftkopfnekrose aus. Es sollte bei diesen Patienten auf offene Verfahren gewechselt werden.
Radiologisch wird der Abrutschwinkel beurteilt, welcher auch eine Konsequenz bezüglich der Therapie hat. Ist der Abrutschwinkel unter 40°, so kann eventuell eine geschlossene Reposition durchgeführt werden. Gleichzeitig muss jedoch eine Fixation, sei es durch Spickdrähte, Schrauben oder Nägel, durchgeführt werden. Ist der Abrutschwinkel grösser als 40°, so kann auch eine chirurgische Hüftluxation mit Reposition und subkapitaler Schenkelosteotomie diskutiert werden. [7] Gerade die chirurgische Hüftluxation ist eine aufwendige und technisch anspruchsvolle Operation. (Abb. 2) Auch wenn wenige Komplikationen erwähnt werden, so ist die Revisionsrate nicht zu unterschätzen. [8] Es sind bei allen chirurgischen Interventionen verschiedenste Komplikationen beschrieben worden: Chondrolyse, Femurkopfnekrose, vorzeitiger Fugenverschluss, Infektionen, Schrauben- oder Nagelbruch. [3]

Wird die Epiphysiolysis entsprechend fixiert, so besteht auch eine Chance für ein Remodeling, d. h. der Femurkopf kann sich wieder der idealen, runden Kopfform annähern. Je grösser jedoch der Abrutschwinkel ist, desto kleiner ist die Chance für ein vollständiges Remodeling. [9]
Verbleibt der Kopf deformiert, so besteht ein erhöhtes Risiko für Arthrose. So ist sie beispielsweise bei einem Gleitwinkel von gut 60° annähernd eine 70% Wahrscheinlichkeit für eine Arthrose in den nächsten 50 Jahren. [10]
Die Arthrose-Entstehung wird nach einer Epiphysiolyse durch ein fermoro-azetabuläres Impingment (FAI), z.B. ein Cam-Impingement, erklärt. Das FAI ist als Präarthrose der Hüfte bekannt. Umso wichtiger ist es, diese Patienten langfristig zu monitorisieren. Sollte sich ein Cam-Impingement bis nach Abschluss des Wachstums ausbilden, so ist die weitere Behandlung sinnvoll. Arthroskopische Methoden, um den «Bump» am Schenkelhals abzutragen, haben sich hier als sehr effektiv und effizient erwiesen. (Abb. 3)

Ist nach Abschluss des Wachstums nach wie vor eine Deformation ersichtlich, so stehen verschiedene Varianten zur Verfügung, die Situation zu verbesseren. Bereits 1954 entwickelte Imhäuser die nach ihm benannte Osteotomie. Dabei wird das proximale Femur flektiert und valgisiert. Diese Osteotomie wird heutzutage praktisch nicht mehr durchgeführt, da sie keine anatomischen Verhältnisse herstellt. Heutzutage wird hauptsächlich, sei es arthroskopisch oder offen, der Schenkelhals konturiert. Damit kann verhindert werden, dass das Labrum verletzt wird, degeneriert und eine Arthrose fortschreitet. Schliesslich sollte auch die Totalprothese der Hüfte erwähnt werden. Auch bei jungen Patienten muss diese Möglichkeit teilweise erwogen werden. Bei einer Hüftkopfnekrose besteht vielfach keine weitere Möglichkeit, Beschwerdefreiheit zu erreichen. [3]
Prävention
Im Hinblick auf die möglichen Probleme, welche eine Epiphysiolysis mit sich bringt, ist es verständlich, dass versucht werden sollte, diese Pathologie überhaupt zu verhindern. Die Literatur ist diesbezüglich nicht wirklich ergiebig. Aus den vermittelten Erkenntnissen heraus sollte jedoch klar sein, dass vor allem eine zu hohe Belastung während der schnellen Wachstumsphase verhindert werden sollte. Dieses Wissen sollte dazu führen, dass in Sportklubs zu Beginn der Pubertät Wachstumsmessungen durchgeführt werden sollten. Sollte sich das Wachstums akzelerieren, so wäre dies ein Hinweis, das Training in Intensität und Häufigkeit zu vermindern.
Praktische Implikation
- Affektionen treten vor allem vor und während der Pubertät auf
- Eine erhöhte sportliche Belastung muss als Risikofaktor angesehen werden
- Therapieziel bei einer Epiphysiolysis capitis femoris ist es, zu verhindern, dass der Kopf weiter abrutscht und dass die Hüfte nicht weiter degeneriert
- Präventiv sollte die Belastung reduziert werden, wenn der Patient schnell wächst.
Acknowledgments, conflict of interest and funding
Der Autor hat keine Interessenkonflikte.
Corresponding author
PD Dr. med. Carlo Camathias
Brauerstrasse 95
9016 St. Gallen
http://www.praxis-zeppelin.ch
Phone: 071 482 82 42
Email: camathias.carlo@gmail.com
Referenzen
- Niethard FU, Carstens C, Döderlein L. Kinderorthopadie. 1st ed. Stuttgart: Thieme; 1997.
- Morscher E. Strength and morphology of growth cartilage under hormonal influence of puberty. Animal experiments and clinical study on the etiology of local growth disorders during puberty. Reconstr Surg Traumatol. 1968;10:3-104.
- Hefti F. Kinderorthopädie in der Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer- Verlag; 2015.
- Wirth T. Epiphyseolysis capitis femoris. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date. 2011 Apr 11;6(02):147-70.
- Siebenrock KA, Kaschka I, Frauchiger L, Werlen S, Schwab JM. Prevalence of cam-type deformity and hip pain in elite ice hockey players before and after the end of growth. Am J Sports Med. 2013 Oct; 41(10):2308-13.
- Park S, Hsu JE, Rendon N, Wolfgruber H, Wells L. The utility of posterior sloping angle in predicting contralateral slipped capital femoral epiphysis. J Pediatr Orthop. 2010 Oct;30(7):683-9.
- Slongo T, Kakaty D, Krause F, Ziebarth K. Treatment of slipped capital femoral epiphysis with a modified Dunn procedure. J Bone Joint Surg Am. 2010 Dec 15;92(18):2898-908.
- Passaplan C, Gautier L, Gautier E. Long-term follow-up of patients undergoing the modified Dunn procedure for slipped capital femoral epiphysis. Bone Jt Open. 2020 Apr;1(4):80-7.
- Jones JR, Paterson DC, Hillier TM, Foster BK. Remodelling after pinning for slipped capital femoral epiphysis. J Bone Joint Surg Br. The British Editorial Society of Bone and Joint Surgery; 1990 Jul;72(4):568-73.
- Carney BT, Weinstein SL. Natural history of untreated chronic slipped capital femoral epiphysis. Clin Orthop Relat Res. Clin Orthop Relat Res; 1996 Jan;(322):43-7.
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