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Sportorthopädie für Kinder und Jugendliche

Camathias Carlo1,2
1 Praxis Zeppelin, Brauerstrasse 95, 9016 St. Gallen
2 Medizinische Fakultät der Universität Basel, Klingelbergstrasse 6, 4056 Basel

«Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.» Dieser Ausdruck geistert durch viele medizinische Diskussionen. Doch was sind denn Kinder nun? Wo liegt der Unterschied zu den «Gros­sen», den Erwachsenen – oder sind dies nur lasche Sprüche ohne Basis?
In dieser Ausgabe versuchen wir diesen Fragen nachzugehen, wenngleich auch nur bei traumatologischen und orthopädischen Problemen bei Kindern und Jugendlichen.
Und ja – es lassen sich schnell verschiedene Unterschiede aufzählen, ohne damit auch nur im Geringsten eine vollständige Liste zu kreieren:

1. Kinder sind kleiner
Diese offensichtliche Banalität erweist sich erst auf den zweiten Blick als durchaus eigensinnig. Die Anatomie ist zwar nicht anders, doch wenn technische Angelegenheiten besprochen werden, ist ein kleineres Gelenk, eine kleinere Sehne usw. technisch schwieriger anzugehen. Nicht selten sind in Operationen Spezialwerkzeuge notwendig, und anatomische Details erweisen sich als umso wichtiger. Klein ist schwieriger.

2. Kinder verändern sich
Auch dies ist offensichtlich. Hinter dieser Erkenntnis verbirgt sich ein unglaubliches Potenzial zu heilen und gleichzeitig aber auch die Gefahr, durch banalste Verletzungen das Wachstum zu verschlechtern. So können sich knöcherne Fehlstellungen wie ein X-Bein im Laufe der Jahre begradigen, traumatische Fehlstellungen jedoch massiv verschlechtern. Dieses Potenzial richtig einzuschätzen, ist für den behandelnden Arzt enorm wichtig.
Veränderungen beziehen sich nicht nur auf Eigenheiten des Bewegungsapparates; der ganze Körper, der ganze Mensch ändert. Vor allem die Pubertät kann durch den Einfluss der sprudelnden Hormone einige Überraschungen bereithalten. Betreut man Athleten dieser Altersklasse, kann jeden Tag ein anderer Mensch im gleichen Körper vor einem stehen. Kraft, Belastbarkeit, Dynamik, die psychische Verfassung und vieles mehr kann bei Jugendlichen, vergleichbar mit Erwachsenen, schnell ändern. [1]

3. Kindliche Gelenke sind laxer und schneller instabil
Dass ein Kind den Spagat kann, ist nichts Aussergewöhnliches. Eine vermehrte Laxität ist praktisch in jedem Gelenk vorhanden. Sogar die Tibia-Translation in ap-Richtung bei einem 6-jährigen Mädchen ist deutlich grösser als bei einem 30-jährigen Mann – und zwar absolut betrachtet. [2] Relativ betrachtet zur Grösse der Tibia ist die Beweglichkeit im Vergleich zum Erwachsenen noch grösser. Wird das Gelenk dazu noch instabil, beispielsweise durch eine Ligament-Verletzung, so kann sich dies weit negativer auswirken als bei einem Erwachsenen. So sind Begleitverletzungen bei einer Kreuzbandläsion beim Kind viel häufiger anzutreffen als bei Erwachsenen. [3]

4. Kinder heilen deutlich besser
Unabhängig der Läsionen haben Kinder ein sehr hohes Potenzial zu heilen. Operationen profitieren von einer ausgeprägten Heilungsantwort des Patienten. So ist ein rekonstruktiver Ansatz meist die Therapie der Wahl.
Ja – Kinder sind nicht einfach kleine Erwachsene. Beschäftigt man sich mit deren Eigenheiten, so bieten sich ungeahnte Möglichkeiten in der Therapie. Doch auch wenn Kinder nicht zur eigenen, primären Patientenklientel gehören, so lohnt der Blick hin zur Jugend – denn manchmal sind Erwachsene auch nur grosse Kinder.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre dieser Ausgabe viel Vergnügen.

Corresponding author

PD Dr. med. Carlo Camathias
Brauerstrasse 95
9016 St. Gallen
Phone: 071 482 82 42
Email: camathias.carlo@gmail.com

References

  1. Hefti F. Kinderorthopädie in der Praxis. Berlin, Heidelberg: Springer- Verlag; 2015.
  2. Flynn JM, Mackenzie W, Kolstad K, Sandifer E, Jawad AF, Galinat B. Objective evaluation of knee laxity in children. J Pediatr Orthop. 2000 Mar;20(2):259-63.
  3. Reid D, Leigh W, Wilkins S, Willis R, Twaddle B, Walsh S. A 10-year Retrospective Review of Functional Outcomes of Adolescent Ante­rior Cruciate Ligament Reconstruction. J Pediatr Orthop. 2017 Mar; 37(2):133-7.

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