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Sportpsychologische Betreuung: Zwischen Fachbereich und Interdisziplinarität

Jokuschies Nina
Dr. phil., Psychologin FSP
Vorstandsmitglied der Swiss Association for Sport Psychology (SASP)
Leitung des Fachbereichs Sportpsychologie des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV)
Selbständige Praxis für Sportpsychologie und Persönliche Entwicklung am Centre de médecine du sport la Providence, Neuchâtel

In den letzten eineinhalb Jahren wurde ich vielfach gefragt, ob die sportpsychologische Beratung von Sportlerinnen und Sportlern im Rahmen der Pandemie weiter in Anspruch genommen wurde und ob die Anliegen in dieser Zeit andere waren. Die Antwort lautet auf beide Fragen «ja». Die letzten Monate haben gezeigt, inwiefern sportpsychologische Betreuung über mentale Wettkampfvorbereitung hinausgeht und die Begleitung von Athletinnen und Athleten besonders im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung an Bedeutung gewann. Und so beinhaltete die Zusammenarbeit vielfach Themen zu Bedürfnissen in verschiedensten Lebensbereichen und der psychischen Gesundheitserhaltung und -Förderung. Denn so, wie die Pandemie für Menschen ausserhalb des Sportkontextes extreme Situationen hervorgerufen hat, liess sich dies im Rahmen der sportpsychologischen Begleitung ebenfalls beobachten: Zum einen zeigten sich Sportlerinnen und Sportler, deren Identität durch den Wegfall von Trainingsstrukturen und Wettkämpfen bedroht war. Zum anderen berichteten Nachwuchsleistungs- und Spitzensportler und -sportlerinnen trotz der Möglichkeit zur Weiterführung ihres (z.T. professionellen) Sports über zusätzliche Belastungen im Alltag und fehlende Perspektiven. Dies war begründet durch die umfangreichen Pandemie-Restriktionen, welche ebenfalls zu einer veränderten Sport- und Lebenswelt führten. Denn durch fehlenden Ausgleich in anderen Lebensbereichen und abgesagte oder verschobene sportliche Ziele war zum Teil grosser Leidensdruck entstanden.
Ein sportpsychologisches Angebot in Form von festen internen Strukturen oder definierten externen Ansprechpersonen ist inzwischen Teil vieler Sport-Clubs, Verbände und auf den Sport spezialisierte Institutionen wie z.B. sportmedizinische Zentren. Ziel ist es hierbei, die umfassende interdisziplinäre zielgerichtete Betreuung von Sportlerinnen und Sportlern durch verschiedene Fachbereiche zu gewährleisten. Dabei kommt der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Dienstleistungsbereichen (Medizin, Physiotherapie, Ernährungsberatung usw.) und der Sportpsychologie inzwischen eine bedeutende Rolle zu.
Die vorliegende Ausgabe gibt einen Einblick in die Vielfalt sportpsychologischer Themen, unter Berücksichtigung der Schnittstelle zum sportmedizinischen Fachbereich. Nach einem kurzen historischen Überblick zur Qualitätssicherung der Sportpsychologie in der Schweiz innerhalb des letzten halben Jahrhunderts sowie des heute zur Verfügung stehenden breiten Angebots, werden in den darauffolgenden Artikeln spezifische Fragen behandelt: Wie lassen sich körper­liche und psychische Belastung und Erholung im Sport zuverlässig mithilfe eines Monitoring-Tools erfassen? Welche Erkenntnisse liefert die Wissenschaft zur Rolle der Motivation für die Talententwicklung im Sport? Wie lässt sich die psychische Gesundheit beim kritischen Übergang vom Nachwuchs- zum Erwachsenensport fördern? Inwiefern können sogenannte achtsamkeitsbasierte Ansätze im Sport nützlich sein, und wie lässt sich die aktuelle Forschungslage dazu beurteilen? Welchen Beitrag kann die Sportpsychologie nach Verletzungen leisten und wie lässt sich die ganzheitliche Betreuung unter Berücksichtigung medizinischer Fachkräfte und des nahen Umfelds gewährleisten? Welche Bedeutung spielt die elterliche Unterstützung für die langfristige erfolgreiche und gesunde Entwicklung im Sport? Welche psychologischen und situativen Faktoren führen zu Müdigkeit bei Sportlerinnen und Sportlern und welche multidisziplinären Präventionsstrategien lassen sich nutzen?
Im Namen des gesamten Vorstandes der Swiss Association for Sport Psychology (SASP) freue ich mich, Ihnen ­diese Sportpsychologie-Ausgabe präsentieren zu dürfen. Ausdrücklich danken möchte ich meinen beiden Co-Gasteditorinnen Katharina Albertin (Präsidentin der SASP) und ­Viviane Scherler (Vize-Präsidentin der SASP), ohne die die Realisierung dieser Ausgabe nicht möglich gewesen wäre. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre und uns allen, dass dies in absehbarer Zeit die (vorerst) letzte Pandemie gewesen ist.

Korrespondenzadresse

Psychologin Dr. phil. Nina Jokuschies
Centre de médecine du sport la
Providence, Département de psychologie
du sport, Faubourg de l’Hôpital 81,
CH-2000 Neuchâtel
E-Mail: nj@jokuschies.com

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